Der große deutsche Märchenschatz
geweint, und da sitzt es noch und is ganz allein.
Zwerg Nase
Vor vielen Jahren lebte in einer Stadt im Schwabenland ein Schuster mit seiner Frau, die sich beide schlecht und recht durch das Leben schlugen. Er flickte in seiner Werkstatt die Schuhe und seine Frau hielt auf dem Marktplatz das Gemüse feil, das sie in einem kleinen Gärtchen vor dem Tore zog. Die beiden hatten einen schönen Knaben mit Namen Jakob, der war wohlgestaltet und für sein Alter von zwölf Jahren schon ziemlich groÃ. Er pflegte bei seiner Mutter auf dem Gemüsemarkt zu sitzen, und wenn eine von den Frauen oder den Köchinnen bei ihr eingekauft hatte, so trug er ihr die Waren in einem Tragkorb nach Hause.
Eines Tages saà die Schustersfrau wieder mit ein paar Körben Kohl und Kräutern auf dem Markte, und der kleine Jakob saà neben ihr und rief mit heller Stimme die Waren aus. Da kam ein altes Weib dahergehumpelt, das die Schusterin in allen den Jahren noch niemals gesehen hatte. Sie hatte rote Augen und eine spitzige, gebogene Nase, und ihr Kopf wackelte auf ihrem dünnen Halse hin und her. Sie rutschte und wankte an einem langen Stock auf die Körbe der Schustersfrau zu und krächzte: »Wollen sehen, ob du hast, was ich brauche, will Kräutlein schauen, will Kräutlein schauen.« Damit beugte sie sich nieder und fuhr mit ihren dunkelbraunen, hässlichen Händen in die Körbe hinein, hob die Kräutlein an die Nase und beroch sie hin und her. »Schlechtes Kraut«, murmelte sie dazu, »schlechtes Zeug, war alles besser vor fünfzig Jahren.« Das verdross den kleinen Jakob so sehr, dass er rief:
»Du unverschämtes altes Weib, erst hältst du unsere Kräuter unter deine hässliche Nase, dass niemand mehr sie kaufen mag, und dann schimpfst du sie auch noch schlechtes Zeug!«
»Ei, Söhnchen«, krächzte die Alte, »gefällt dir meine lange Nase? Sollst auch eine haben, mitten ins Gesicht bis übers Kinn herab.« Damit rutschte sie an den andern Korb und hob die weiÃen Kohlhäupter heraus, drückte sie zusammen, dass sie ächzten und warf sie in den Korb zurück.
»Wackle nicht so garstig mit dem Kopf«, rief der kleine Jakob, »dein Hals könnte abbrechen.«
»Gefallen sie dir nicht, die dünnen Hälse«, murmelte die Alte, »sollst gar keinen haben, Kopf muss tief in den Schultern stecken.«
»Schwatzt doch nicht so unnützes Zeug mit dem Kleinen«, sagte die Schustersfrau unmutig, »wenn Ihr etwas kaufen wollt, so sputet Euch, Ihr verscheucht mir ja die anderen Kunden.«
»Gut«, sagte die Alte, »ich will Euch diese sechs Kohlköpfe abkaufen, aber Euer Söhnchen muss sie mir nach Hause tragen, ich will ihn gut belohnen dafür.«
Der kleine Jakob wollte nicht mitgehen, denn ihm graute vor der hässlichen Frau, aber weil es ihm die Mutter ernstlich befahl, so raffte er die Kohlhäupter in ein Tuch zusammen und folgte der Alten. Sie humpelte ihm voran durch einen entlegenen Teil der Stadt, in welchem Jakob noch nie gewesen war und blieb endlich vor einem kleinen, baufälligen Hause stehen. Sie zog einen rostigen Haken hervor und fuhr damit in ein kleines Loch in der Tür, krachend sprang sie auf, und nun zeigte sich das Innere des Hauses dem erstaunten Jakob. Die Zimmer hatten marmorne Decken und die Wände waren von Ebenholz, mit Gold und Edelsteinen reich geziert, und die FuÃböden waren aus purem Glas und spiegelglatt. Auf einen Pfiff der Alten kamen nun ein paar Meerschweinchen die Treppe herab. Sie gingen aufrecht auf zwei Beinen und trugen Menschenkleider, und an den FüÃen hatten sie Nussschalen statt der Pantoffeln, auf denen sie geschwinde über den gläsernen Boden dahinglitten. Sie brachten auch für die Alte ein paar Schalen von Kokosnuss und steckten sie ihr an die FüÃe, und nun glitt und huschte auch sie geschwinde über den Boden dahin, wobei sie den kleinen Jakob an der Hand mit sich fortzog. In einem reich geschmückten Gemach mit vielerlei silbernen Gerätschaften an den Wänden, wie man sie zum Kochen gebrauchen kann, hielt sie stille und gebot Jakob, sich auf einem Sofa auszuruhen. »Du hast schwer zu tragen gehabt, muss dir nun etwas geben zum Lohn«, sprach sie zu ihm, während der kleine Jakob ganz fassungslos dasaà und nicht wusste, ob er wachte oder träumte; »will dir ein Süppchen einbrocken, an das du dein Leben
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