Der große deutsche Märchenschatz
als Hirt verdingen. Eine geraume Zeit hatte er sich und seinen Vater ernährt, als er plötzlich Lust zum Wandern bekam. Nichts konnte Hans mehr abhalten; nur drauÃen, meinte er, könne er sein Glück machen. Er machte sich daher auf die Strümpfe und wanderte in eine groÃe Stadt. Als er in eines der ersten groÃen Gasthäuser eintrat, hörte er, dass der König seine Tochter vermählen wolle und dass sich ein jeder als Bewerber melden könne. Hans dachte, versuchen kostet ja nichts, und lieà sich anmelden. Des andern Tages begaben sich alle Freier auf eine groÃe Wiese; dort warf die Königstochter so viele Erdäpfel, als Bewerber waren, in die Luft. Derjenige, welcher nichts auffing, musste abziehen; wer aber einen erwischte, der sollte drei von der Königstochter gegebene Aufgaben lösen. Keinem war dies gelungen, und sie mussten mit stumpfer Nase abziehen. Nun erst kam Hans, wegen seiner niedern Herkunft der letzte, an die Reihe.
Die erste Aufgabe, welche keiner gelöst hatte, war die, dass Hans einige hundert Hasen hüten sollte, und am Abend musste er sie wieder vollzählig zurückbringen.
Hans ging den Tag über ganz betrübt im Walde herum, denn er hatte alle Hoffnung auf das Gelingen aufgegeben, als plötzlich, wie aus der Erde hervorgewachsen, ein altes, runzliges Weib vor ihm stand. Ganz erschrocken wollte er fortlaufen; allein das Weib hielt ihn fest und fragte ihn freundlich, warum er so betrübt sei. Hans meinte, es könnte ihm niemand helfen; doch sagte er ihr den Grund, um ihre Zudringlichkeit loszuwerden, und wollte soeben weitergehen, als sie ihn zurückrief und ihm eine kleine Pfeife zuwarf. Hans konnte sich nicht denken, zu was diese Pfeife dienen sollte; indes steckte er sie ein und ging, da es schon Abend war, nach Hause zurück. In aller Frühe lenkte er seine Schritte zum Schlosse. Bald ward es dort lebendig, und die Königstochter befahl, die Hasen aus dem Stalle zu lassen; aber als der letzte drauÃen war, konnte man von keinem eine Spur mehr entdecken. Hans lief nach und kam auf eine Wiese, die mitten im Walde lag, suchte seine Pfeife hervor und pfiff, dass der Wald vom Echo ertönte. Im Nu waren alle Hasen wieder da. Das war ihm eine gemähte Wiese.
Die Königstochter aber, welche den Schäfer nicht zu ihrem Gemahl haben wollte, suchte durch List, ihm einen Hasen zu entlocken. Sie verkleidete sich als Bauernmädchen, nahm einen Korb an den Arm und ging so zu Hans in den Wald. Hans erkannte sie sogleich, lieà aber nichts merken, sondern wartete, bis sie zu ihm herangekommen war. Sie fragte ihn, ob er keine Hasen feil habe. Er antwortete mit einem kurzen Nein. »Aber auf welche Art kann ich mir wenigstens einen verdienen?«, fragte sie. »Wenn du freundlich und herzlich mit mir bist«, entgegnete er. Nach einigem Zögern gab ihm die Königstochter einen Kuss, und sie erhielt den verlangten Hasen. Freudig entfernte sie sich; kaum war sie aber eine Strecke gegangen, als Hans aus Leibeskräften zu pfeifen anfing. Hurtig sprang der Hase aus dem Korbe, und in einem Augenblick war er wieder bei der Herde. Die Königstochter hatte nichts davon gemerkt und entdeckte erst zu Hause ihren Verlust.
Nun beschloss der König selbst hinzugehen, um Hans einen Hasen auf irgendeine Weise abzulocken. Er verkleidete sich und machte sich als Kaufmann mit einem Esel und zwei Tragkörben auf den Weg zur Waldwiese. Hans erkannte ihn sogleich, lieà aber nichts merken und pfiff ruhig ein angefangenes Stückchen weiter. »Hast du einen Hasen zu verkaufen?«, fragte der König. »Wenn du mir etwas zu Gefallen tust, sollst du einen umsonst haben«, sagte Hans. Der verkleidete König machte dabei ein ganz verklärtes Gesicht und fragte: »Nun, was kann ich dir tun?« Hans sagte: »Gib dem Esel, den du bei dir hast, einen Kuss unter den Schweif.« Anfangs sträubte sich der König gar sehr, allein zuletzt lieà er sich dazu bewegen und tat, was Hans verlangt hatte. Er bekam nun seinen Hasen, welchen er in einen der Körbe steckte und dann seines Wegs weiterzog. Als er ein wenig entfernt war, lieà Hans seinen Lockruf ertönen, und sogleich war die Herde wieder vollzählig.
Abends trieb Hans seine Herde ins Schloss zurück, und niemand konnte ihm die Lösung der ersten Aufgabe, welche die schwerste war, abstreiten. Nun kam aber die zweite. Er sollte nämlich mehrere
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