Der große deutsche Märchenschatz
die Königin hatte das Regiment ganz allein, und wehe dem, wer etwas ihr darüber gesagt oder getan hätte. So musste denn das arme Mädchen sein Leid tragen. Alle Mittag durfte es eine halbe Stunde spazieren gehen auf der Wiese, die bei dem Schlosse war, da weinte es bitterlich, und oft war es, als wollte ihm sein Herz brechen. Ach, wie manch heiÃes Gebet tat es hier, wie oft sah s nach dem Himmel und klagte Gott seine Not und bat zuletzt, er möchte es doch von der Welt nehmen, damit es von seiner bösen Stiefmutter wegkäme. So war denn manches Jahr darüber hingegangen, es lebte aber immer noch und trug sein Unglück mit Geduld. Doch einen Trost hatte die Königstochter, das war ihr gutes Gewissen und ihr Gebet, sodass sie nicht ganz verzweifelte, sondern Mut behielt.
Nach einem recht schönen Tage, wo sie wieder von der Stiefmutter geschlagen worden war, ging sie wieder auf die Wiese hinaus und betete inbrünstig zu Gott, er möge sie doch aus dieser Jammerhöhle zu sich nehmen und sich ihrer endlich erbarmen. Da hörte sie auf einmal eine Stimme, es war, als käme sie vom Himmel, die sagte: »Warte bis diesen Abend.« Ruhig ging sie nach Haus, tat ihre Arbeit, heute schneller und viel besser noch als sonst, und dann ging sie in ihre Kammer, betete und wollte sich dann auf ihr Bett legen und dachte, danach stände sie nicht wieder auf. Es kam aber anders. Als sie mit ihrem Gebet fertig war, tat sich die Tür auf, und herein kam ein kleines graues Männlein und sprach: »Dein Gebet ist erhört, du sollst errettet werden. Du sollst der schönste Schmetterling werden und dich an Blumenduft und Honigseim laben, und niemand soll dich verfolgen und fangen dürfen als deine böse Stiefmutter. Die aber soll in eine hässliche Nachteule verwünscht werden und bestimmt sein, dich bei Tag zu verfolgen und von den andern Vögeln gejagt und gepeinigt zu werden.« In demselben Augenblick war das liebliche Mädchen der wunderschöne Schmetterling, und das graue Männchen war verschwunden. Der Schmetterling flog durch das Fenster und suchte sich auf einem Blatt eine Stelle zum Schlafen. Eben hatte er sich aber zurechtgesetzt, so hörte er einen Ton, der klang wie der einer Nachteule, und richtig, sie kam dahergeflogen, konnte den Schmetterling aber nicht gewahr werden, weil er im Laube saÃ. Die Eule setzte sich auf einen Baum und heulte und winselte die ganze Nacht. Der Schmetterling hörte es und dachte: »Das ist deine böse Stiefmutter, hätte sie dich besser behandelt, so wäre es so nicht gekommen.«
Als es Morgen geworden war und die Sonne über Berg und Tal schien, da flog der Schmetterling auf und in den Blumengarten, von einer Blume zur andern und freute sich seines Lebens; denn die Blumen rochen so gut und sahen so schön aus und hatten auch alle süÃen Honigseim, dass sich der Schmetterling recht satt trinken konnte. Es dauerte aber nicht lange, so kam die Nachteule und wollte den Schmetterling fangen. Doch der sah die Eule und flog weg und war unter den Blumen verschwunden. Als ihn die Eule noch suchte, kamen die Schwalben und die Bachstelzen und jagten die Eule von einem Fleck zum andern, bis sie am Ende in ein tiefes Loch floh, das in der Mauer war. Die Vögel schwirrten noch immer davor herum und lieÃen sie nicht heraus. Da konnte der Schmetterling wieder umherfliegen, und so ging es den ganzen Sommer. Als es aber anfing kalt zu werden, da kam ein Prinz auf das Schloss und wollte von hier in den Harz auf die Jagd gehen. Da flog der Schmetterling im Garten umher, als der Prinz auch gerade im Garten war. Mit einmal kam die Eule angeschossen und fasste den Schmetterling und wollte ihn zerreiÃen. Da stürzte der Prinz herbei, packte die Eule und drehte ihr den Hals um. In dem Augenblick aber, als der Schmetterling von der Eule berührt wurde, war es wieder zu dem schönen Mädchen geworden. Der Prinz verwunderte sich, reichte ihr die Hand, und sie wurde seine Frau. Nachher hat sie ihm ihre Geschichte erzählt, und sie haben lange Jahre miteinander in Glück und Frieden gelebt.
Donner, Blitz und Wetter
Es war einmal ein alter König, der hatte einen Sohn und drei Töchter und verordnete, als er seinen letzten Willen aussprach, dass die Töchter erst sechs Jahre nach seinem Tode heiraten sollten. Dem Sohne aber legte erâs recht ans Herz, dafür zu sorgen, dass dieser sein letzter Wille
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