Der Grosse Eisenbahnraub: Roman
anstachelte.
»Pustet sie an!« ertönten die Rufe der Zuschauer. Verschiedene sonst recht würdige Herren beugten sich vor und pusteten und bliesen die Ratten an, deren Fell sich sträubte. Die Ratten gerieten zunehmend in Erregung.
»Uuunnnnnd … los!« rief Captain Jimmy, und Mr. T. warf seinen Hund in die Arena. Mr. T. duckte sich hinter die Planken, so daß nur noch sein Kopf dahinter hervorragte.
Von dort aus feuerte er seinen Hund mit Rufen und Knurrlauten an.
Der Hund machte einen Satz mitten in die Masse grauen Fells hinein, schnappte nach den Ratten, packte einige Tiere im Nacken und zeigte so, daß er ein echter Vollblutkampfhund war. Im Nu hatte er drei oder vier getötet.
Diejenigen Zuschauer, die Wetten placiert hatten, schrien und brüllten nicht weniger als der Hundebesitzer, der die Arena nicht eine Sekunde aus den Augen ließ. »So ist’s gut!« rief Mr. T. »Die ist tot, laß sie fallen, jetzt weiter! Grrrrr! Gut, das ist noch eine, jetzt weg damit. Drauf! Pack sie! Grrrhm!«
Der Hund erledigte eine nach der anderen. Dann verbiß sich eine Ratte in seine Nase und ließ nicht locker; der Hund konnte sie nicht abschütteln.
»Nicht schütteln! Beißen!« johlte die Menge.
Der Hund wand und schüttelte sich, kam frei und stürzte sich auf die anderen. Jetzt waren sechs Ratten tot. Ihre Körper lagen leblos auf dem blutüberströmten Boden der Arena.
»Noch zwei Minuten«, verkündete Captain Jimmy.
»Los, Lover, guter Lover«, kreischte Mr. T. »Los doch, Junge. Grrrrr! Da hast du wieder eine, loslassen, die nächste. Pack sie, Lover!«
Der Hund raste durch die Arena und verfolgte seine Beute. Die Zuschauer johlten und hämmerten gegen die Holzplanken, um die Tiere in höchster Erregung zu halten.
Einmal hatten sich vier Ratten an Lover festgebissen, was ihn aber nicht hinderte, eine fünfte zwischen seinen mächtigen Kiefern zu zermalmen. In all der Erregung bemerkte niemand einen rotbärtigen distinguierten Herrn, der sich durch die Menge schob, bis er neben Mr. T. stand, dessen Aufmerksamkeit noch immer auf den Hund gerichtet war.
»Noch eine Minute!« rief Captain Jimmy. Einige Männer in der Menge stöhnten laut auf. Drei Minuten vorbei und erst zwölf Ratten tot. Wer auf Mr. T.s Liebling gesetzt hatte, würde sein Geld verlieren.
Mr. T. selbst schien die Zeitangabe zu überhören. Er ließ den Hund nicht aus den Augen. Er bellte und jaulte, schüttelte sich wie im Krampf und wand sich wie der Hund, der ihm gehörte. Er schnappte mit den Kiefern und schrie dem Tier Befehle zu, bis er nur noch heiser krächzte.
»Ende!« brüllte Captain Jimmy und wedelte wieder mit der Stoppuhr. Ein Seufzen ging durch die Menge. Lover wurde aus der Arena gezogen; die drei verbleibenden Ratten wurden von den Gehilfen mit geschickten Griffen herausgeholt.
Der Rattenkampf war vorüber; Mr. T. hatte verloren.
»Verdammt guter Kampf«, sagte der Herr mit dem roten Bart tröstend.
Das seltsam paradoxe Verhalten Mr. T.s in der »Königskrone« – ja, allein schon sein Aufenthalt in so dubioser Umgebung – bedarf einiger Erklärung.
Zunächst einmal: Ein Mann, der Seniorchef einer Bank war, dazu ein frommer Christ und eine Stütze der Gesellschaft, hätte nicht im Traum daran gedacht, sich mit Angehörigen der niederen Stände gemein zu machen. Ganz im Gegenteil: Mr. Trent verwandte viel Zeit und Energie darauf, solche Leute auf ihren Platz zu verweisen, und er tat dies in dem sicheren Bewußtsein, daß er damit die soziale Ordnung aufrechterhielt.
In der viktorianischen Gesellschaft gab es jedoch einige Orte, an denen Angehörige der verschiedensten Schichten frei und offen miteinander verkehrten, und hier sind an erster Stelle Sportveranstaltungen zu nennen – der Boxring, der Turf und die Tierhatz. Alle diese Aktivitäten waren entweder verrufen oder rundheraus ungesetzlich, und das vereinte ihre Anhänger, die sich aus allen Gesellschaftsschichten rekrutierten. Dabei lockerten sich die gesellschaftlichen Schranken. Und wenn Mr. Trent es nicht für unpassend hielt, sich in die Gesellschaft von Straßenhändlern und Hausierern zu begeben, so waren diese, sonst in Gegenwart von vornehmen Herren einsilbig und gehemmt, bei derartigen Anlässen besonders aufgekratzt.
Sie lachten und gaben wohl schon einmal einem Mann einen vertraulichen Rippenstoß, dessen Kleidung sie sonst nicht einmal zu berühren gewagt hätten. Ihre gemeinsame Leidenschaft – die Tierhatz – war schon im alten Europa seit
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