Der Grosse Eisenbahnraub: Roman
Informanten und Spitzeln zu überwachen. Mr. Harranby hielt keine festen Dienstzeiten ein; Kontakten mit der Presse ging er aus dem Weg. In seinem Büro gaben sich die seltsamsten Figuren die Türklinke in die Hand, oft noch nachts.
Am späten Nachmittag des 17. Mai hatte Harranby eine Unterredung mit seinem Gehilfen, Mr. Jonathan Sharp. In seinen 1879 veröffentlichten Lebenserinnerungen, Ein Leben für die Polizei , hat er diese Unterredung rekonstruiert. Sie wird hier mit einigen Vorbehalten wiedergegeben, denn in diesem Band versucht Harranby nämlich auch zu erklären, warum es ihm nicht gelungen sei, Pierce’ Pläne rechtzeitig zu vereiteln.
Sharp sagte zu Harranby: »Dieser Schlangenjunge hat geplaudert, und daraufhin haben wir unseren Mann ein bißchen unter die Lupe genommen.«
»Was für ein Bursche ist es?« fragte Harranby.
»Äußerlich ein Herr. Vermutlich ist er aber ein Schränker oder Taschendieb von der besseren Sorte. Sauber-Willy sagt, er komme aus Manchester, lebe aber hier in London. Habe ein schönes Haus.«
»Weiß Sauber-Willy, wo?«
»Er sagt, er sei einmal dagewesen, kann sich aber nicht an die genaue Lage erinnern. Irgendwo in Mayfair.«
»Wir können in Mayfair nicht von Tür zu Tür gehen und anklopfen«, sagte Harranby. »Können wir seinem Erinnerungsvermögen vielleicht ein bißchen auf die Sprünge helfen?«
Sharp seufzte. »Möglich.«
»Bringen Sie ihn herein. Ich werde mich mit ihm unterhalten. Wissen wir, was die Burschen vorhaben?«
Sharp schüttelte den Kopf. »Willy sagt, er hat keine Ahnung. Er will wohl noch ein paar Karten im Ärmel behalten. Hat Angst, sie könnten ihm was antun. Er sagt, dieser Bursche plant einen Raub.«
Harranby wurde gereizt. »Damit kann ich wenig anfangen. Was genau hat der Mann vor? Das ist die Frage, und sie verlangt nach einer befriedigenden Antwort. Wer ist dem Herrn jetzt auf den Fersen?«
»Gramer und Benton, Sir.«
»Gute Leute. Sie sollen ihn nicht aus den Augen lassen. So, und jetzt her mit dem kleinen Willy, und zwar schnell.«
»Ich werde es selbst veranlassen, Sir«, sagte der Gehilfe.
Harranby schrieb später in seinen Memoiren: »Im Leben eines jeden an verantwortlicher Stelle tätigen Mannes gibt es Augenblicke, in denen die für den deduktiven Prozeß notwendigen Elemente zum Greifen nah scheinen, sich dann aber doch dem gedanklichen Zugriff entziehen. Dies sind die Augenblicke der tiefsten Frustration, und das gilt auch für den Eisenbahnraub von 1855.«
Sauber-Willy tritt ab
Sauber-Willy stand im »Hundszahn« an der Theke und trank. Er war sehr nervös. Er verließ das Lokal gegen sechs und begab sich ohne Umwege zum Heiligen Land. Er schlängelte sich durch die nach des Tages Arbeit heimwärts strebende Menge und verschwand dann in einer Nebengasse; er übersprang einen Zaun, schlüpfte durch ein Kellerfenster in ein Haus, lief durch den Keller, kroch durch einen engen Gang in ein angrenzendes Gebäude, ging die Treppe hinauf, trat auf eine Gasse hinaus, ging einen halben Häuserblock weiter und verschwand in einem anderen Haus, einer übelriechenden Absteige.
Hier ging er die Treppe ins Obergeschoß hinauf, kletterte aufs Dach, sprang auf ein angrenzendes Dach, hangelte sich am Abflußrohr bis zum zweiten Stock einer Herberge hoch, schlüpfte durch ein Fenster und ging dann die Treppen bis zum Keller hinunter.
Von dort kroch er durch einen Tunnel, der ihn auf die andere Seite der Straße brachte. Er öffnete eine Luke und stand wieder im Freien, auf einem engen Hinterhof mit ehemaligen Stallungen. Durch einen Seiteneingang betrat er das »Goldene Schwert«, das er nach vorsichtigen Blicken in alle Richtungen durch den Vordereingang verließ.
Er ging bis zum Ende der Straße und betrat dann den Ein gang zu einer anderen Herberge. Sofort wußte er, daß hier etwas nicht stimmte; sonst war das Treppenhaus voll lärmender und tobender Kinder, aber jetzt war alles menschenleer und still. Er hielt in der Tür inne und wollte sich gerade umdrehen und fliehen, als ein Strick durch die Luft schwirrte und ihm um den Hals fiel. Ein heftiger Ruck, und er fühlte sich in eine dunkle Ecke gezerrt.
Sauber-Willy sah Barlow, sah die weiße Narbe auf der Stirn, während dieser die Schlinge zuzog. Willy hustete, keuchte und kämpfte, um freizukommen, aber Barlow war so bärenstark, daß er den kleinen Schlangenjungen mühelos in die Luft hob. Willy strampelte verzweifelt und zerrte mit den Händen am Strick.
Dieser Kampf
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