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Der Große Fall (German Edition)

Der Große Fall (German Edition)

Titel: Der Große Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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    So grüßten meinen Schauspieler, unter anderen: eine Reiterin (jung und blond); ein patrouillierendes Polizistenpaar; ein Läufer mit untertassengroßenHörern über beiden Ohren; ein Priester, im Ornat, mit Ministrant im Ministrantengewand (unterwegs durch das hohe Gras zu einer Letzten Ölung?); ein anderer Schauspieler, der im Kreuz- und Quergehen auf der Lichtung laut seinen Text lernte; eine balkanesische Prostituierte, die vor der Nacht unten in der Megapole dahier ein wenig Luft zu schöpfen versuchte, oder sich versteckte vor ihrem Zuhälter; ein Rollstuhlfahrer, der im Wegkies immer wieder steckenblieb; und sogar der Staatspräsident, auf dem Rückweg mit seinem Troß zum Regieren und/oder Agieren, Agieren und ewig Agieren, der zum Grüßen sein Tätig!Tätig!Tätig!-Posaunen kurz unterbrach und dabei angesichts des Gegrüßten große Augen machte, so große, wie sie vielleicht seit seiner Kindheit nicht mehr zu sehen gewesen waren. Er, der Präsident, war der einzige, der sich von seinem Als-Erster-Grüßen wie übertölpelt zeigte und es am liebsten auf der Stelle zurückgenommen hätte. Ob er den Schauspieler am Abend, wenn er ihm die Auszeichnung überreichen sollte, wiedererkennen würde? »Nein.«
    Einige fügten ihrem Gruß im Vorbeigehen, -laufen, -reiten, -fahren noch an: »Da hinten bei der Königseiche steht ein Steinpilz!« (Ausgerechnet ein Biker – warum »ausgerechnet«?) – »Das war ein Gewitterheute früh, was!?« – »Wir werden am Abend nachhause finden, noch, nicht wahr?« – »Ach, Sie sind es ja gar nicht. Nein, Sie sind es!« – »Kein Tag zum Verbrecherjagen!« (Das Polizistenpaar.) Ein, zwei fingen ein Gespräch an, sie redeten, ohne eine Antwort zu erwarten, und er hörte stumm zu und ging weiter. Beim Blick über die Schulter hockten unversehens noch und noch Kinder im tiefen Gras und bildeten einen Kreis, und er dachte: »Die Blumen des Guten.« Aber auch unter ihnen schon die Schläger. Hitler hatte schon als kleines Kind die Ziegen mit Steinen beworfen.
    Der eine Pilzsucher hatte Musikstöpsel im Ohr, und erklärte, nachdem er die beim Grüßen herausgenommen hatte: Äugen nach Pilzen und Musikhören – vor allem die von John Cage und Morton Feldman – ergänzten einander wie fast nichts sonst. Noch besser zu dem Ausschauhalten nach den Sommerpilzen jetzt passe das Westernlied vom »Summer Wine«. Es war ein junger Mensch, der ihm das anvertraute, und der war sich sicher, daß sein Beispiel, mit einem Musikhelm auf »Pilzjagd« – so drückte er sich aus – zu gehen, Schule machen würde. Er habe eine Serie von Artikeln veröffentlicht, was man auf diese Weise alles, und wie zum ersten Mal, erleben könne, nein, nicht in einem Pilzmagazin, im »Rolling Stone«,und seitdem wandelten in ganz Europa junge Leute, statt mit dem Scheppern aus ihren Kopfhörern die Mitfahrer in den Zügen und U-Bahnen zu nerven, die Augen still zu Boden gerichtet und ebenso still den wenigen Tontropfen, nur ihnen selber hörbar, lauschend –, das eine Aufmerken gäbe das andere, und umgekehrt, und all die Rauschpilze seien nichts dagegen und prompt aus der Mode gekommen.
    Dem Beerensammler, der herausgrüßte tief aus einer Brombeerhecke am Lichtungssaum, deren Dornen er mir nichts dir nichts niedergetreten hatte, baumelten die Schnüre seines Mobiltelefons von der Stirn, und schon von weitem war zu sehen, daß er, während er die Beeren pflückte, pausenlos in den vor dem Mund schwingenden Sprechknopf redete. Für das Grüßen freilich unterbrach er das, und für das Erzählen dann richtete er sich inmitten der Dornen aus der Hocke auf. Er trug einen dunklen breitgestreiften Anzug, mit weißem Hemd – gesprenkelt von Brombeerflecken – und hätte einer aus der Bande der Trader von vorhin sein können, auch so blaß, nur daß seine Wangen stark gerötet waren, in einer Aufregung, welche weniger vom Reden in das Mikrofon zu kommen schien.
    Er sei ein geborener Sammler. Sein Sammeln ziele auf das, was von Nutzen sei, fürs Leben und Überleben, aufs Eßbare und Nahrhafte. Früher einmal habe er, auch durch die Reaktionen der andern, sich eingeredet, das sei eine Krankheit, ein Trieb und sich dessen geschämt. Aber sein Sammeln sei kein Trieb, und auch keine Leidenschaft, oder doch, eine Leidenschaft, eine, die ihn, ausgelebt mitten in seinem Beruf, zur Ruhe kommen lasse, was er mit keiner sonstigen Leidenschaft je erlebt habe. Vor zwei Monaten die Zeit der ersten wilden

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