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Der Große Fall (German Edition)

Der Große Fall (German Edition)

Titel: Der Große Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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bewegten, das war einfach nicht schön. Keiner, kein einziger, der auf die Idee, ja, Idee, gekommen wäre, an der Schwelle zwischen dem Wald und der großen freien Lichtung innezuhalten, und sei es für eine Kürzestsekunde. Durch die Reihe wechselten diese Wichte von einem Bereich in den andern, so als gäbe es die Übergänge gar nicht. Ein Reh hätte kurz verhalten, auch ein Hase, es sei denn, er würde gejagt. Sogar eine Hornisse, gerade noch im Direktflug, hätte am Lichtungsrand erst einmal einen Bogen geflogen, und ein Maulwurf, blind wie er angeblich war, hätte daselbst auch unter der Erde das besondere Lichtungslicht gespürt und es, bevor er seinen Maulwurfsgang ausgegraben hätte, still auf sich einwirken lassen.
    Die Zweibeiner dagegen: weder ein »Was da?«, noch ein »Wer da?«, noch ein »Da!«. Zwar kam es dann vor, daß einer kurz irgendwo stehenblieb und mit seinem Mobiltelefon ein Foto schoß. Aber ein Innehalten, das war etwas anderes. Und als wieder einer im Durchmarschieren die Hand am Ohr hatte, war das ein Indiz, daß er oder sie etwas am Kopfhörerstöpsel regelte – daß von den Kunterbunten da auch nur ein einziger sich die hohle Hand unter die Ohrmuschel gelegt hätte zum Lauschen, stand vom ersten Moment schon außer Frage.
    Das Abstoßende war dabei, daß mit dem besten Willen – nein, das wäre gelogen, jeder gute Wille war ja mit dem ersten Blick auf sie futsch gewesen – sich von den Lichtungsbesetzern einzig das Typische zeigte. Sie wirkten durchwegs als Typen, Geher, Läufer, Radfahrer, Altenwandergruppe, Alt-und-JungWandergruppe, und nicht nur, weil sie ziemlich weit weg auf- und durchkreuzten. Typen: sie waren eins mit dem, was sie taten und zugleich darstellten, und das ohne Scheu. Es war, bedingt durch den anfänglichen bösen Willen, oder auch ohne den, nichts an ihnen wahrzunehmen als das ungenierte und freche Typische. Laut waren diese Figuren, laut schon zwischen den Bäumen, und wurden auf der Lichtung nur noch lauter, ohne besondere Lauthalsigkeit. Undurchdringlich und überlaut: nichts ging so auf den Zwangszuschauer über, und es half nur das Nachäffen. Half es? Es half nicht.
    Da joggte er, der schwarze Fernsehsprecher, der nebenher Dokumentarfilme über Sekten, Wassernot und Lawinenschutz drehte, und neben ihm seine neue Freundin, die Blonde von der Wetterkarte. Da radelten, daß die Distelwolle nur so stob, die Glorreichen Fünf von der Gesichtschirurgie. Da furchten, auf ihren spezialangefertigten Bikes durch das wildaufwogende Gras, nur als behelmte Köpfe zu sehen, die vier Trader der City-and-Rural-Bank, die sich als die neuen Rolling Stones und zugleich die zeitgemäßere Viererbande gaben. Da wanderten in unsterblicher Frische, mit auf den Boden knallenden Wanderschistöcken, die grau- und weißhaarigen Überzähligen. Und da, hast du das gesehen, flitzte, im ärmellosen schwarzen Laufdreß, der Präsident des ganzen Lands schräg über die Lichtung, als Troß nicht nur die Leibwächter, sondern die vollständige Regierungsmannschaft, welcher er, der laut seiner Selbstbiographie schon als Kleiner aktiv, aktiv und nichts als aktiv sein wollte, »Handeln ist alles!«, das Gesicht im Laufen über die Schulter gewandt, seine für den Tag und über den Tag hinaus gedachten Aktivitäten zurief. – Da kurvten und kreuzten sie also, die Typen des neuen Welttheaters? Wen von denen da hätte er spielen mögen? Spielen? Darstellen? Sein? Ach, Welt. Ach, du liebe Zeit. Und für einen Augenblick sah er sich auf den Mächtigen zurennen und ihm ein Messer in den Bauch stoßen.
    Er, Nachäffer wider Willen, Hampelmann, dessen Kopf, Hals, Arme und Beine im erzwungenen Zuschauen wie von Stricken gezogen hierhin und dorthin schnellten, blieb nicht stumm. Ob er wollte oder nicht: seine Stimme mußte mit laut werden und diese andern, die zu spielen außer Frage stand, nachäffen. Und so unschön sein Hampeln aussah, so stockhäßlich anzuhören meines Schauspielers Stimme (welche derart einzigartig sein konnte, daß seine Filme kaum zu synchronisieren waren). In seiner Vorstellung gab es neben ihm, dem Zwangszuschauer, noch einen, der wiederum ihm zuschaute, und jetzt auch zuhörte. Und was für ein jämmerliches Grunzen, Schnattern, Gezischel, Gewinsel, Gekicher, Gekeife bekam der vorgesetzt! Keine Urlaute waren das, im Gegenteil. Nur einer aus einer Science-fiction- und zugleich Horrorgeschichte konnte derlei Laute von sich geben, ein Wesen von einem anderen Planeten, auf

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