Der große Fetisch
morgen nachmittag ein großes Streitgespräch zwischen den Verfechtern der beiden Theorien stattfinden solle, damit die Frage ein für allemal geklärt wird. Wenn er meint, daß die Lehre von der Herabkunft richtig ist, wird er die Kirche vom Staat trennen, sie auflösen und alle Priester hinrichten lassen, wenn jedoch die Anhänger der Evolution recht behalten, will er uns allen die Köpfe abschlagen lassen.«
»O Götter!« sagten Halran und Marko gleichzeitig. Halran fügte hinzu: »Ist der Mann wahnsinnig geworden?«
»Nein. Das ist nur die entschiedene Art, mit der unser Prem alles tut. Wer seiner Auffassung nach recht hat, kann alles haben, worum er ihn bittet, während die Seite, die nicht recht hat, die Massen getäuscht hat und deshalb als ein Haufen gefährlicher Lügner und staatsgefährdender Demagogen dem Tod überantwortet werden muß.«
Halran klagte: »O verflucht! Warum habe ich das Licht der Welt erblickt? Ich werde mich an den Prem von Anglonia wenden. Können wir eine Botschaft hinausschmuggeln?«
»Möglich, aber deine Regierung wird erst eingreifen können, wenn schon alles vorbei ist. Wie ich höre, wäre euer Prem ganz froh, ein paar Philosophen loszuwerden. Er ist der große Bauernführer, und alles, was nicht nach Jauche riecht, ist ihm auch nichts wert.« Toskano schnalzte mit den Fingern.
Halran nahm sich zusammen. »Dann müssen wir einfach das Streitgespräch gewinnen. Mein Freund Meister Prokopiu kann uns vielleicht helfen. Er ist gerade als unverbesserlicher Anhänger der Lehre vom Herabkommen aus Vizantia vertrieben worden.«
»Aha«, sagte Toskano. »Wie steht’s damit, Meister Prokopiu?«
»Ich helfe gerne«, sagte Marko. »Ich kenne mich ganz gut mit den Argumenten der Lehre von der Herabkunft aus, weil mir erst vor kurzem ein Prozeß gemacht wurde.«
Toskano sagte: »Ich glaube, als Sprecher kommen Sie nicht in Frage, da Ihr Eropisch nicht gut genug ist. Ich werde Sie jedoch dem Ausschuß zuteilen, der heute abend die Teilnehmer des Streitgesprächs einweisen soll. Vielleicht können Sie nützliche Vorschläge machen. Sie müssen wissen, daß das fast die ganze Nacht in Anspruch nehmen wird.«
Marko entgegnete: »Lieber wache ich eine ganze Nacht lang, als den Kopf zu verlieren.«
»Schön. Jetzt berichtet mir von der Reise. Was hat euch aufgehalten?«
Halran erzählte rasch von ihren Landungen auf Afka und Mnaenn und wie sie die Freiheit wiedererlangt hatten.
Ulf Toskano sagte: »Habt ihr die Schachteln mit Karten dabei, die ihr dem Großen Fetisch entnommen habt?«
Marko zog die Kistchen aus seinen Taschen und übergab sie Toskano, der eines öffnete und eine Karte herauszog. Sie bestand aus einem glatten, gelblichweißen Material. Sie sah fast wie eine gewöhnliche Spielkarte aus, wirkte aber viel kräftiger und flexibler, als sei sie aus Metall gefertigt. Auf beiden Seiten war sie von kleinen grauen Punkten bedeckt, die zu einem rechtwinkligen Muster mit gelblichweißen Streifen zwischen den Reihen angeordnet waren. Toskano gab sie zurück.
»Ich weiß nichts mit ihr anzufangen«, sagte er. »Gehen wir vor dem Essen ein wenig herum und sehen wir uns die Ausstellungsgegenstände an. Nach dem Essen werden wir genug zu tun bekommen. Zu schade, Moogan, einer unserer besten Redner, wollte heute abend einen Vortrag über Vererbung halten, hat ihn aber abgesagt, da ihn die Aussicht, bald sterben zu müssen, zu sehr aufregt.«
Toskano führte sie aus dem Empfangszimmer und einen Gang entlang. Eine Reihe kleinerer Räume beherbergte die Ausstellungsstücke. Einer enthielt zum Beispiel grafische Darstellungen, die die Theorie einer Schule von Naturwissenschaftlern illustrierten, die sich mit der richtigen Klassifizierung der Lebensform auf Kforri befaßte. Daneben waren präparierte kleine Pflanzen und Tiere als Beispiele aufgestellt.
Im nächsten Zimmer stand ein Tisch, auf dem sich Dama Chimeis Mikroskop befand, daneben eine Reihe kleiner Dinge wie Blätter, Proben von Gewebestücken kleiner Tiere, Papier, Stoff und so weiter, die man unter das Gerät legen konnte. Die Brüder Chimei standen an dem Tisch, beantworteten Fragen und zeigten den Besuchern, wie das Instrument zu bedienen war. Die Erklärungen wurden von Ryoske Chimei gegeben, da Dama Chimei anscheinend weder Eropisch noch Anglonisch sprach. Wie die meisten Bewohner Mingkows waren die Brüder Chimei kleine Männer mit gelblicher Haut, glattem schwarzen Haar und flachen Gesichtern mit breiten
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