Der große Fetisch
Haare, die ihm geblieben waren, abrasieren lassen. Damit war der glattrasierte Kopf die offizielle Mode geworden.
Wieder wurden die Papiere durchgeblättert, und dann ließen die Wachen den Wagen auf das Gelände der Versammlungshalle fahren. Einige Männer gingen ihm entgegen. Halran begrüßte ein paar von ihnen. Ein großer, kräftiger Mann mit einem roten Bart, der fast die ganze Brust bedeckte, drängte sich durch die Menge.
Er rief: »Boert! Du liebe Erde, was machst du denn hier?«
»Wie angekündigt bringe ich meinen Ballon zur Tagung mit«, erwiderte Halran.
»Du Narr, weißt du nicht, daß du hier nicht mehr herausgelassen wirst, wenn du einmal eingetreten bist?«
»Komm mit in den Empfangsraum«, sagte der Mann mit dem roten Bart. »Dort können wir sprechen.« Halran stellte ihn Marko als Ulf Toskano, den Mathematiker und Vorsitzenden der Philosophenversammlung, vor.
»Was geht hier vor?« fragte Halran mit klagender Stimme. »Nach all den Gefahren, die wir überwunden haben, um hierherzukommen …«
Toskano sagte: »Wenn du dich schon in die Falle begibst, hättest du gleich zur Eröffnungsfeier hier sein können. Du hast die wunderbaren Vorführungen der Brüder Chimei gestern verpaßt.«
»Wer sind die Brüder Chimei?« fragte Marko.
»Physiker, die sich mit der Optik befassen. Sie kommen aus Mingkwo. Sie haben ganz wunderbare Dinge gemacht. Ryoske Chimei hat ein Gerät entwickelt, das er Teleskop nennt und das ferne Dinge nah aussehen läßt, während Dama Chimei etwas erfunden hat, das er Mikroskop nennt, und das kleine Dinge groß aussehen läßt. Sie haben die ganze Versammlung in größte Aufregung versetzt.
Wir sind in einer langen Reihe angestanden, um durch das Teleskop zu blicken, und mit seiner Hilfe sieht man große Mengen von Sternen, wo das bloße Auge nur einen einzigen sehen kann. Man kann die Berge und Täler auf den Monden sehen. Zu schade, daß der Himmel jetzt bewölkt ist, aber vielleicht läßt euch Dama Chimei durch sein Mikroskop blicken. Der Anblick eines Tropfens stehenden Wassers ist schlimmer als alle nur erdenklichen Alpträume. Das ist die größte Erfindung seit der Dampfmaschine. Doch heute morgen ließ der Prem seine Garde um das Gebäude aufmarschieren und ließ dieses idiotische Streitgespräch ansetzen.«
Marko sagte: »Was geht in diesem Saal hier vor?« Sie waren durch eine massive Holztür getreten, befanden sich im Vorraum des größten Saales und sahen die Rücken einer Zuhörerschaft, die den Erörterungen einer kleinen Gruppe von Männern, die auf einer Art Bühne saßen, lauschten.
Toskano erklärte: »Eine Diskussion über diese alte Geschichte, ob man die Dampfmaschine zum Antrieb eines Landfahrzeugs benutzen kann. Ich habe vor langer Zeit schon bewiesen, daß das unmöglich ist. Man kann ein kleines Bronzemodell bauen, das ein paar Wagen über eine Tischfläche ziehen kann, doch wenn man es in einem größeren Maßstab versucht, ist man wegen des Gewichts bald am Ende.«
Toskano führte sie eine Treppe hinauf und in einen weiten Raum. In ihm standen Sessel und Tische, auf denen sich Bücher und Zeitschriften stapelten. In den Sesseln saßen Philosophen und rauchten, lasen, unterhielten sich mit leisen Stimmen, spielten Karten oder Schach oder ruhten sich einfach nur aus.
Halran jammerte: »Worum geht es nun aber bei dem unheilvollen Streitgespräch?«
»Beruhige dich, Boert. Wenn du schon sterben sollst, dann wenigstens wie ein Mann. Wie du weißt, hat es in Eropia große Aufregung wegen der Theorie des Herabkommens gegeben. Die Archäologen und die Geschichtswissenschaftler behaupten, daß ihre Beweiskette für diese Theorie fast schlüssig ist, während die Eklektische Kirche sie verwirft und verlangt, daß die alten Gesetze, nach denen Ketzer abgeurteilt wurden, auf uns angewendet werden.
Das gewöhnliche Volk ist ebenfalls sehr unruhig, wobei ein Teil gegen und einer für uns ist, wobei unter Hunderten kaum einer wirklich weiß, worum es geht. Es ist so weit gekommen, daß wir nicht mehr wagen, unsere akademischen Gewänder in der Öffentlichkeit zu tragen, weil wir befürchten, mit Steinen beworfen zu werden. Vielleicht hätte die Zunft der Philosophen ihr Mäntelchen nach dem Wind hängen sollen, doch statt dessen boten wir den Anhängern der Lehre von der Evolution die Stirn und richteten an Mirabo die Eingabe, die Trennung von Kirche und Staat durchzuführen.«
»Und?« sagte Halran.
»Heute morgen gab der Prem bekannt, daß
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