Der große Fetisch
reichte dem Reiter das Bündel Dokumente. Der steckte seinen Säbel in die Scheide, nahm ein Lorgnon an die Augen und ging die Papiere durch. Offensichtlich las er sie genau. Die Bauern standen beisammen und berieten sich murmelnd.
Schließlich gab der Berittene die Papiere zurück. Er klappte sein Lorgnon zusammen, zog den Säbel, wirbelte ihn in einer merkwürdig komplizierten Geste des Grußes durch die Luft und schob ihn wieder in die Scheide. Dann sagte er auf Anglonisch, wenn auch mit starkem Akzent: »Ich bitte tausendmal um Verzeihung, Eure Exzellenzen! Es tut mir unendlich leid, daß ich Sie belästigt habe. Sie müssen verstehen, ich bin nichts als ein einfacher Polizist und muß meine Pflicht tun. Wachtmeister Jakom Szneider, zu Ihren Diensten. Herr Professor, wenn Sie die Güte haben wollen, mir zur Polizeiwache von Utrec zu folgen, werde ich dafür sorgen, daß Ihnen die Reisedokumente für das Inland ausgefertigt werden.«
»Ist das denn nötig?« sagte Halran.
»Ja, denn diese Papiere hier gelten nur für die Einreise nach Eropia, und wenn Sie von einer Provinz in die andere reisen wollen, brauchen Sie besondere Reisegenehmigungen. Nur keine Angst, Utrec ist nur zwei Kilometer von hier entfernt, und ich werde selbst dafür sorgen, daß die Papiere rasch ausgestellt werden.«
»Gibt es dort die Möglichkeit, unseren Ballon nach Vien transportieren zu lassen?« fragte Halran.
»Das kann in Utrec erledigt werden. Lassen Sie mich überlegen. Einri Lafonten hat einen großen Wagen und ein Gespann von vier Pferden. Als Fremder brauchen Sie natürlich eine besondere Genehmigung, wenn Sie einen Einheimischen für sich arbeiten lassen wollen. Sie müssen außerdem einen Schwur ablegen, daß Sie in Eropia keiner Arbeit nachgehen wollen, mit der Sie gegen die Wettbewerbsregeln unserer Handwerkerzünfte verstoßen würden. Dann werden noch einige kleinere Gebühren erhoben. Doch keine Angst, ich, Jakom Szneider, werde all das in Windeseile erledigt haben.«
»Wo liegt Utrec, Herr Wachtmeister?« fragte Halran.
»Dort!« sagte Szneider. »Schauen Sie nur! Sie können die Dächer sehen.«
»Ich meine, wo liegt es auf der Karte? Welche größere Stadt ist in der Nähe?«
»Ach so. Wir befinden uns ungefähr siebzig Kilometer nordwestlich von Pari.«
Halran stöhnte: »Das bedeutet, wir sind einige hundert Kilometer von Vien entfernt, und die verflixte Tagung wird morgen eröffnet.«
»Wieso können Sie nicht mit Ihrem Apparat nach Vien fliegen?« fragte Szneider.
Halran erklärte ihm, daß Ballons vom Wind abhängig sind, und dann begaben sie sich nach Utrec.
Drei Tage später ratterte der Wagen Einri Lafontens nach Vien hinein, und auf ihm befanden sich Boert Halran, Marko Prokopiu und der Ballon. Vien war eine alte, graue Stadt, die an einer Schleife des Flusses Dunau lag.
Marko hatte während dieses Abschnitts der Reise Halrans Erfahrung schätzen gelernt, wie man sich in einem zivilisierten Land bewegen mußte. Hier wurde jeder Schritt durch Vorschriften und Formulare geregelt, und die allmächtige Regierung hatte die Finger überall im Spiel, und jeder rechnete mit einem Trinkgeld. Der Wachtmeister Szneider zum Beispiel hatte ihnen nicht aus reiner Herzensgüte geholfen, sondern in der Annahme, daß ihm Halran bei der Abreise ein großzügiges Geschenk machen würde. Daheim in Vizantia galt es als Beleidigung, wenn man jemandem ungefragt Geld bot. Manchmal waren Reisende erschlagen worden, nur weil sie einem stolzen Vizantiner ein Geldgeschenk aufdrängen wollten. Andere Länder, andere Sitten, wiederholte sich Marko des öfteren.
Die Wachen an den Toren Viens hielten sich wie üblich eine halbe Stunde mit Halrans Papieren auf, bevor sie den Wagen passieren ließen. Der Wagen rollte durch die gewundenen Gassen mit dem alten Kopfsteinpflaster, vorbei an den reich verzierten Häusern der Großgrundbesitzer, deren Macht von Alzander Mirabo gebrochen worden war. Sie hielten vor dem alten Rathaus an, das den Philosophen für ihre Tagung überlassen worden war.
Die Versammlungshalle wurde von Mitgliedern der Garde des Prems bewacht, die von Kopf bis Fuß mit Kettenpanzern bedeckt waren und auf den Köpfen spitze Helme trugen. In den Händen hielten sie schwere Hellebarden. Im Hof konnte Marko kleine Gruppen von Männern sehen, darunter einige wenige Frauen, die auf und ab gingen. Die Eropier konnte man an ihren glatt rasierten Schädeln erkennen. Der Prem war kahlköpfig und hatte die letzten
Weitere Kostenlose Bücher