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Der große Gatsby (German Edition)

Der große Gatsby (German Edition)

Titel: Der große Gatsby (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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uns heraufbitten«, verkündete sie, als wir im Fahrstuhl standen. »Und meine Schwester rufe ich natürlich auch an.«
    Das Apartment befand sich in der obersten Etage – ein kleines Wohnzimmer, ein kleines Esszimmer, ein kleines Schlafzimmer und ein Bad. Das Wohnzimmer war bis an die Türen mit einer Garnitur viel zu großer Möbel mit Gobelinbezug vollgestellt, so dass man auf Schritt und Tritt über Szenen mit schaukelnden Damen im Park von Versailles stolperte. Das einzige Bild an der Wand war ein stark vergrößertes Foto, dem Anschein nach ein Huhn, das auf einem verschwommenen Felsen saß. Wenn man es jedoch von weitem betrachtete, verwandelte sich das Huhn in einen Hut, und das Antlitz einer fülligen alten Dame strahlte ins Zimmer herab. Auf einem Tisch lagen mehrere alte Ausgaben des Town Tattle neben einem Exemplar von Simon Called Peter sowie einigen kleinen Broadway-Skandalblättchen. Mrs. Wilson kümmerte sich erst einmal um den Hund. Ein Liftboy besorgte widerwillig eine Kiste voll Stroh und etwas Milch und fügte von sich aus eine Schachtel großer, harter Hundekuchen hinzu – von denen einer den ganzen Nachmittag über in der Schale mit Milch schwamm und apathisch in seine Bestandteile zerfiel. Unterdessen hatte Tom eine Flasche Whiskey aus einem verschlossenen Schränkchen hervorgeholt.
    Ich war in meinem Leben nur zweimal betrunken, und jener Nachmittag war das zweite Mal; deshalb liegt ein Dunstschleier über allem, was geschah, obwohl das Apartment noch bis nach acht Uhr von freundlichem Sonnenlicht erfüllt war. Mrs. Wilson saß auf Toms Schoß und rief eine Reihe von Leuten an; dann hatten wir keine Zigaretten mehr, und ich machte mich auf den Weg, um im Drugstore an der Ecke welche zu kaufen. Als ich zurückkam, waren die beiden verschwunden, also setzte ich mich diskret ins Wohnzimmer und las ein Kapitel von Simon Called Peter – entweder war es furchtbar schlecht, oder aber der Whiskey trübte meine Wahrnehmung, jedenfalls ergab es für mich nicht den geringsten Sinn.
    Kaum waren Tom und Myrtle – nach dem ersten Drink nannten Mrs. Wilson und ich uns beim Vornamen – wieder aufgetaucht, als auch schon die ersten Gäste eintrafen.
    Die Schwester, Catherine, war eine schlanke, mondäne Frau um die Dreißig mit einem dichten, steifen Schopf roter Haare und milchigweiß gepudertem Teint. Ihre Augenbrauen waren gezupft und dann in kühnerem Schwung nachgezogen, doch die Anstrengungen der Natur, die alte Linienführung wiederherzustellen, gaben ihrem Gesicht etwas Verschwommenes. Wenn sie umherlief, war ständig ein Klirren zu hören, weil unzählige Emaillereifen an ihren Armen auf und ab klimperten. Sie kam mit solcher Selbstverständlichkeit hereingerauscht und schaute derart stolz auf das Mobiliar, dass ich schon dachte, sie wohne hier. Als ich sie danach fragte, lachte sie übertrieben laut, wiederholte meine Frage und erklärte mir, sie logiere zusammen mit einer Freundin im Hotel.
    Mr. McKee war ein blasser, femininer Mann, der in der Wohnung unter Mrs. Wilson wohnte. Er schien sich gerade erst rasiert zu haben, jedenfalls hatte er noch einen weißen Schaumfleck auf der Wange, und grüßte jeden im Raum mit äußerster Zuvorkommenheit. Er teilte mir mit, er sei in der »Kunstbranche« tätig, und später erfuhr ich, dass er Fotograf war und die unscharfe Vergrößerung von Mrs. Wilsons Mutter gemacht hatte, die wie ein Ektoplasma an der Wand hing. Seine Frau war schrill, träge, hübsch und schrecklich. Sie brüstete sich damit, ihr Mann habe sie seit ihrer Hochzeit einhundertundsiebenundzwanzig Mal fotografiert.
    Mrs. Wilson hatte sich eine Weile vorher umgezogen und trug nun ein raffiniertes Nachmittagskleid aus cremefarbenem Chiffon, das ein unablässiges Rascheln von sich gab, wenn sie sich durchs Zimmer bewegte. Unter dem Einfluss des Kleides hatte sich auch ihr Auftreten verändert. Die enorme Vitalität, die in der Autowerkstatt so auffällig gewesen war, hatte sich in eine eindrucksvolle Grandezza verwandelt. Ihr Lachen, ihre Gesten, ihre Äußerungen gerieten von Sekunde zu Sekunde affektierter, und während sie sich aufplusterte, wurde der Raum um sie herum immer kleiner, bis sie sich um eine laute, quietschende Achse durch die verrauchte Luft zu drehen schien.
    »Meine Liebe«, rief sie ihrer Schwester mit hoher, gezierter Stimme zu, »die meisten dieser Leute werden dich beschummeln, wo sie können. Sie denken nur ans Geld. Letzte Woche hatte ich eine Frau zur Fußpflege

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