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Der große Gatsby (German Edition)

Der große Gatsby (German Edition)

Titel: Der große Gatsby (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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welchem nun die ungeteilte Aufmerksamkeit eines halben Dutzends neugieriger Chauffeure zuteil wurde, gelöst hatte. Da sie allesamt ihre Wagen im Weg hatten stehenlassen, war von weiter hinten ein rabiater, dissonanter Lärm zu hören, der zu dem ohnehin gewaltigen Durcheinander das Seine beitrug.
    Ein Mann im langen Staubmantel war dem Wrack entstiegen, stand jetzt mitten auf der Straße und blickte freundlich und verwirrt vom Wagen zum Reifen und vom Reifen zu den Schaulustigen.
    »Sehen Sie nur!«, rief er. »Er ist im Graben gelandet.«
    Die Tatsache verwunderte ihn maßlos – und ich erkannte zuerst dieses ungewöhnliche Staunen wieder und dann den Mann: Es war derselbe, den ich in Gatsbys Bibliothek angetroffen hatte.
    »Wie ist es passiert?«
    Er zuckte die Schultern.
    »Ich verstehe rein gar nichts von Mechanik«, sagte er entschieden.
    »Aber wie ist es passiert? Sind Sie gegen die Mauer gefahren?«
    »Fragen Sie mich nicht«, antwortete Eulenauge, als wollte er mit der Sache nichts zu tun haben. »Ich verstehe sehr wenig vom Autofahren – so gut wie gar nichts. Es ist passiert, mehr weiß ich nicht.«
    »Also, wenn Sie so ein schlechter Fahrer sind, sollten Sie nachts wirklich nicht zu fahren versuchen.«
    »Aber ich habe es ja gar nicht versucht«, erklärte er entrüstet. »Ich habe es gar nicht versucht.«
    Erschrockenes Schweigen senkte sich auf die Umstehenden.
    »Wollen Sie sich umbringen?«
    »Sie können von Glück sagen, dass es nur ein Rad war! So ein schlechter Fahrer zu sein und es dann nicht einmal zu ver suchen !«
    »Sie verstehen nicht«, sagte der Übeltäter. »Ich bin nicht gefahren. Da ist noch jemand im Auto.«
    Der Schock, der auf diese Erklärung folgte, machte sich in einem gedehnten »Ah-h-h!« Luft, als langsam die Fahrertür des Coupés aufschwang. Die Menge – inzwischen war es eine Menge – wich unwillkürlich zurück, bis die Tür weit offenstand. Eine gespenstische Pause trat ein. Dann stieg ganz allmählich, Stück für Stück, eine bleiche, marionettenhafte Gestalt aus dem Wrack und tippte mit einem großen, unsicheren Tanzschuh zaghaft auf den Boden.
    Von den hellen Autoscheinwerfern geblendet und durch die unentwegt jaulenden Hupen verwirrt, stand der seltsame Mensch einen Moment lang schwankend da, bevor er den Mann im Staubmantel entdeckte.
    »Was’n los?«, fragte er seelenruhig. »Benzin alle?«
    »Da!«
    Ein halbes Dutzend Finger zeigte auf das amputierte Rad – er starrte kurz dorthin und wandte dann den Blick nach oben, als glaubte er, das Rad sei vom Himmel gefallen.
    »Es hat sich gelöst«, erklärte jemand.
    Er nickte.
    »Hab erst gar nicht gemerkt, dass wir stehngeblieben sind.«
    Eine Pause. Dann atmete er tief durch, richtete sich gerade auf und sagte mit entschlossener Stimme: »Kammir v’lleicht einer sagen, wo hier ’ne Tankstelle is?«
    Mindestens ein Dutzend Männer, manche von ihnen in kaum besserem Zustand als er, erklärten ihm, dass zwischen Rad und Wagen keinerlei materielle Verbindung mehr bestehe.
    »Z’rücksetzen«, schlug er nach kurzem Schweigen vor. »Rückwärtsgang einlegen.«
    »Aber das Rad ist ab!«
    Er zögerte.
    »Versuchen schadet nix«, sagte er.
    Die Katzenmusik der Hupen war inzwischen immer weiter angeschwollen, und ich wandte mich ab und lief quer über den Rasen zu meinem Haus. Einmal blickte ich noch zurück. Über Gatsbys Haus schien ein Oblatenmond, der die Nacht schön machte wie zuvor und das Gelächter und die Geräusche des hell erleuchteten Gartens überdauerte. Eine plötzliche Leere entströmte den Fenstern und Flügeltüren und hüllte die Gestalt des Gastgebers, der auf der Veranda stand und die Hand zu einer förmlichen Abschiedsgeste erhoben hatte, in vollkommene Einsamkeit.
    Wenn ich das bisher Geschriebene noch einmal lese, fällt mir auf, dass es den Anschein erweckt, als wären die Ereignisse von drei mehrere Wochen auseinanderliegenden Nächten das Einzige gewesen, was mich damals beschäftigte. In Wahrheit waren es bloß nebensächliche Ereignisse in einem randvollen Sommer, die mich ungleich weniger stark beschäftigten als meine persönlichen Angelegenheiten – jedenfalls noch eine ganze Weile lang.
    Die meiste Zeit arbeitete ich. Am frühen Morgen warf die Sonne meinen Schatten westwärts, wenn ich durch die weißen Schluchten Lower New Yorks zur Probity Trust hastete. Ich nannte die anderen Angestellten und jungen Wertpapierhändler beim Vornamen, und wir verbrachten die Mittagspause zusammen in

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