Der große Gatsby (German Edition)
jetzt getanzt, alte Männer, die junge Mädchen endlos und ungraziös im Kreise rückwärts schoben, vornehme Paare, die einander kunstvoll verschraubt umfasst hielten und in den Ecken blieben – und eine große Anzahl einzelner junger Frauen, die nach ihrem eigenen Stil tanzten oder das Orchester für einen Moment von der Last des Banjos oder der Trommeln befreiten. Bis Mitternacht wurde die Stimmung immer ausgelassener. Ein gefeierter Tenor sang Italienisch, eine weltbekannte Altistin sang Jazz, und zwischen den Nummern vollführten die Leute überall im Garten »Kunststückchen«, während fröhliches hohles Gelächter zum Sommerhimmel emporstieg. Als Babys verkleidete »Zwillinge« – die sich als die beiden Mädchen in Gelb entpuppten – brachten einen Sketch auf die Bühne, und in Gläsern, die größer als Fingerschalen waren, wurde Champagner serviert. Der Mond war höher geklettert, und auf dem Sund trieb ein Dreieck aus silbernen Schuppen und zitterte leise zu dem steifen, blechernen Getröpfel der Banjos auf dem Rasen.
Ich war immer noch an Jordans Seite. Wir saßen mit einem Mann meines Alters und einem kleinen Wildfang von einem Mädchen zusammen, das bei der geringsten Veranlassung völlig unbeherrscht draufloslachte. Mittlerweile amüsierte ich mich gut. Ich hatte zwei Schalen Champagner getrunken, und alles wollte mir nun bedeutsam, elementar und tiefgründig erscheinen.
Während einer Flaute im Unterhaltungsprogramm schaute der Mann mich an und lächelte.
»Ihr Gesicht kommt mir bekannt vor«, sagte er höflich. »Waren Sie nicht im Krieg in der Dritten Division?«
»Ganz recht! Ich war im Neunten Maschinengewehrbataillon.«
»Und ich war bis Juni 1918 im Siebten Infanterieregiment. Wusste ich’s doch, dass ich Sie irgendwo schon mal gesehen hatte.«
Wir unterhielten uns eine Weile über das eine oder andere feuchte, graue Dorf in Frankreich. Offenbar wohnte er hier in der Gegend, denn er erzählte mir, er habe sich gerade ein Wasserflugzeug gekauft und wolle es am nächsten Morgen ausprobieren.
»Kommen Sie mit, alter Knabe? Nur über den Sund, an der Küste entlang.«
»Um wie viel Uhr?«
»Wann immer es Ihnen passt.«
Ich wollte ihn eben nach seinem Namen fragen, als Jordan sich umdrehte und lächelte.
»Amüsieren Sie sich jetzt besser?«, fragte sie mich.
»Viel besser.« Ich wandte mich wieder meinem neuen Freund zu. »Eine sonderbare Party, finde ich. Ich habe bisher noch nicht mal den Gastgeber gesehen. Ich wohne da drüben« – meine Hand wies in die Richtung der unsichtbaren Hecke –, »und dieser Gatsby hat seinen Chauffeur mit einer Einladung zu mir herübergeschickt.«
Einen Moment lang sah er mich an, als verstünde er nicht ganz.
»Ich bin Gatsby«, sagte er plötzlich.
»Wie!«, rief ich aus. »Oh, verzeihen Sie.«
»Ich dachte, das wüssten Sie, alter Knabe. Ich fürchte, ich bin kein sehr guter Gastgeber.«
Er lächelte verständnisvoll – ja mehr als verständnisvoll. Es war ein so besonderes Lächeln, wie es einem vielleicht vier- oder fünfmal im Leben zuteil werden mag, ein Lächeln, das einem für alle Ewigkeit Mut zusprach. Es nahm– so schien es wenigstens – für einen Moment die gesamte äußere Welt in den Blick und konzentrierte sich dann mit unwiderstehlicher Voreingenommenheit ganz und gar auf einen selbst. Es verstand einen gerade so weit, wie man verstanden werden wollte, glaubte an einen, wie man selbst gerne an sich geglaubt hätte, und versicherte einem, dass es exakt den Eindruck hatte, den man im besten Fall zu vermitteln hoffte. Just dann erlosch es – und ich schaute einem eleganten jungen Rauhbein ins Gesicht, ein oder zwei Jahre über dreißig, dessen formvollendete Redeweise ans Absurde grenzte. Schon ehe er sich mir vorgestellt hatte, war mir aufgefallen, mit wie viel Bedacht er seine Worte wählte.
Fast in demselben Augenblick, als Mr. Gatsby sich mir zu erkennen gab, eilte ein Butler herbei und meldete ihm, Chicago sei am Telefon. Gatsby entschuldigte sich mit einer kleinen Verbeugung, die der Reihe nach jeden von uns einschloss.
»Wenn Sie etwas brauchen, fragen Sie einfach danach, alter Knabe«, forderte er mich auf. »Entschuldigen Sie mich. Ich geselle mich später wieder zu Ihnen.«
Als er fort war, wandte ich mich unverzüglich Jordan zu – es drängte mich, ihr meine Überraschung kundzutun. Ich hatte mir Mr. Gatsby als einen rüstigen, beleibten Mann mittleren Alters vorgestellt.
»Wer ist er?«, fragte ich.
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