Der große Gatsby (German Edition)
verübelt; es betrübte mich flüchtig, dann vergaß ich es wieder. Auf dem Weg zu der erwähnten Privatparty führten wir auch ein seltsames Gespräch übers Autofahren. Es begann, als sie so dicht an ein paar Arbeitern vorbeifuhr, dass wir mit dem Kotflügel einen der Männer am Jackenknopf streiften.
»Sie sind ja eine miserable Autofahrerin«, schimpfte ich. »Sie sollten vorsichtiger sein oder überhaupt nicht fahren.«
»Ich bin vorsichtig.«
»Nein, sind Sie nicht.«
»Dafür sind’s andere«, sagte sie leichthin.
»Was soll das denn heißen?«
»Sie werden mir schon ausweichen«, erwiderte sie unbeirrt. »Zu einem Unfall gehören immer zwei.«
»Sie brauchen nur mal auf jemanden zu treffen, der genauso achtlos ist wie Sie.«
»Ich hoffe, das passiert nicht«, antwortete sie. »Ich hasse achtlose Menschen. Deswegen mag ich Sie.«
Ihre grauen, sonnenstrapazierten Augen blickten stur geradeaus, doch sie hatte absichtlich die Ebene unserer Beziehung gewechselt, und einen Moment lang dachte ich, dass ich sie liebte. Aber ich bin langsam im Denken und gehorche inneren Regeln, die meine Sehnsüchte bremsen, und ich wusste, dass ich mich zuerst endgültig aus jenen Banden befreien musste, die mich zu Hause noch festhielten. Bisher hatte ich pro Woche einen Brief geschrieben, den ich mit »Alles Liebe, Dein Nick« unterzeichnete, und wenn ich an das bewusste Mädchen dachte, sah ich nur das schwache Schweißschnäuzchen vor mir, das sich, wenn sie Tennis spielte, auf ihrer Oberlippe bildete. Dennoch gab es eine vage Übereinkunft, die taktvoll gelöst werden musste, ehe ich frei war.
Jeder schreibt sich selbst mindestens eine Kardinaltugend zu, und bei mir ist es diese: Ich bin einer der wenigen ehrlichen Menschen, die ich kenne.
4
Während am Sonntagmorgen die Kirchenglocken in den Dörfern an der Küste läuteten, kehrten die Welt und ihre Herrin in Gatsbys Haus zurück und funkelten übermütig auf seinem Rasen.
»Er ist ein Alkoholschmuggler«, sagten die jungen Damen, die irgendwo zwischen seinen Cocktails und seinen Blumen einherwandelten. »Er hat mal einen Mann getötet, dem zu Ohren gekommen war, dass er Hindenburgs Neffe und ein Vetter zweiten Grades des Teufels sei. Reich mir eine Rose, Liebes, und gieß mir einen letzten Tropfen in das Kristallglas dort.«
Einmal schrieb ich die Namen all derer, die in jenem Sommer bei Gatsby erschienen, in die Lücken eines Fahrplans. Er ist inzwischen alt, fällt fast auseinander und trägt die Aufschrift »Gültig ab 5. Juli 1922«. Aber die grauen Namen kann ich immer noch gut lesen, und weit besser als meine Gemeinplätze vermögen sie einen Eindruck davon zu geben, wer Gatsbys Gastfreundschaft in Anspruch nahm und ihm die diskrete Gefälligkeit erwies, nicht das Geringste über ihn zu wissen.
Aus East Egg also kamen die Chester Beckers, die Leeches, ein Mann namens Bunsen, den ich aus Yale kannte, und Doktor Webster Civet, der vorigen Sommer oben in Maine ertrank; und die Hornbeams, die Willie Voltaires sowie ein ganzer Klan von Leuten namens Blackbuck, die sich jedes Mal in einer Ecke versammelten und die Nasen hochreckten wie die Ziegen, egal, wer in ihre Nähe kam. Außerdem die Ismays, die Chrysties (besser gesagt, Hubert Auerbach und Mr. Chrysties Frau) und Edgar Beaver, dessen Haare angeblich eines Winternachmittags ohne jeden guten Grund watteweiß wurden.
Auch Clarence Endive stammte, wenn ich mich recht entsinne, aus East Egg. Er kam nur ein einziges Mal, trug weiße Kniebundhosen und legte sich im Garten mit einem Saufbold namens Etty an. Aus einer anderen Ecke der Insel kamen die Cheadles und die O. R. P. Schraeders, die Stonewall Jackson Abrams aus Georgia, die Fishguards und die Ripley Snells. Snell kam, drei Tage bevor er ins Gefängnis wanderte, und lag derart betrunken in der Kieseinfahrt, dass Mrs. Ulysses Swetts Automobil ihm über die rechte Hand fuhr. Die Dancies kamen, ebenso wie S. B. Whitebait, der weit über sechzig war, Maurice A. Flink, die Hammerheads, der Tabakimporteur Beluga und Belugas Töchter.
Aus West Egg erschienen die Poles, die Mulreadys, Cecil Roebuck, Cecil Schoen, Senator Gulick, Newton Orchid, der Geschäftsführer von Films Par Excellence war, Eckhaust, Clyde Cohen, Don S. Schwartze (der Sohn) und Arthur McCarthy, die allesamt auf die eine oder andere Weise mit dem Film zu tun hatten. Und die Catlips, die Bembergs und G. Earl Muldoon, ein Bruder jenes Muldoon, der später seine Frau erwürgte. Der
Weitere Kostenlose Bücher