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Der große Gatsby (German Edition)

Der große Gatsby (German Edition)

Titel: Der große Gatsby (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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tropfenschweren Wimpern in Berührung kamen, nahmen sie die Farbe von Tinte an und legten den Rest des Weges in langsamen schwarzen Rinnsalen zurück. Es wurde der launige Vorschlag gemacht, sie solle doch nach den Noten auf ihrem Gesicht singen, worauf sie die Hände gen Himmel warf, sich auf einen Stuhl fallen ließ und in einen tiefen, weinseligen Schlaf sank.
    »Sie hatte Streit mit einem Mann, der angeblich ihr Ehemann ist«, erklärte ein Mädchen, das neben mir stand.
    Ich schaute mich um. Die meisten Frauen, die noch da waren, hatten jetzt Streit mit Männern, die angeblich ihre Ehemänner waren. Sogar Jordans Freunde, das Quartett aus East Egg, waren im Zwist auseinandergegangen. Einer der Männer unterhielt sich seltsam angeregt mit einer jungen Schauspielerin, und seine Frau, die angesichts der Lage zuerst würdevoll und gleichgültig zu lachen versucht hatte, brach völlig zusammen und versuchte es schließlich mit Seitenattacken – in Abständen blitzte sie wie ein wütender Diamant neben ihm auf und zischte ihm »Du hast es versprochen!« ins Ohr.
    Aber es waren nicht nur abtrünnige Männer, die sich sträubten, nach Hause zu gehen. In der Eingangshalle standen gegenwärtig zwei bedauernswert nüchterne Männer und ihre hocherbosten Frauen. Die Frauen bemitleideten sich mit leicht erhobenen Stimmen gegenseitig.
    »Kaum sieht er, dass ich mich amüsiere, will er nach Hause.«
    »So etwas Egoistisches habe ich ja noch nie gehört.«
    »Wir sind immer die Ersten, die gehen.«
    »Wir auch.«
    »Also, heute sind wir beinahe die Letzten«, sagte einer der Männer kleinlaut. »Das Orchester ist schon vor einer halben Stunde gegangen.«
    Obwohl die beiden Ehefrauen sich einig waren, dass solche Bosheit zum Himmel schrie, endete der Streit mit einem kurzen Gerangel, und beide Frauen wurden strampelnd in die Nacht hinausgetragen.
    Während ich in der Halle auf meinen Hut wartete, öffnete sich die Tür zur Bibliothek, und Jordan Baker und Gatsby kamen heraus. Er sagte gerade irgendein letztes Wort zu ihr, doch sein lebhafter Ausdruck gerann augenblicklich zu vollendeter Förmlichkeit, als mehrere Leute auf ihn zutraten, um sich zu verabschieden.
    Draußen auf der Veranda riefen Jordans Freunde ungeduldig nach ihr, doch sie blieb noch einen Augenblick, um mir die Hand zu schütteln.
    »Ich habe eben etwas ganz und gar Unglaubliches erfahren«, flüsterte sie. »Wie lange waren wir dort drinnen?«
    »Na – ungefähr eine Stunde.«
    »Es war – einfach unglaublich«, wiederholte sie gedankenverloren. »Aber ich habe geschworen, es niemandem zu verraten, und da stachele ich nun Ihre Neugier an.« Sie gähnte mir charmant ins Gesicht. »Bitte besuchen Sie mich doch einmal… Telefonbuch… Unter dem Namen Mrs. Sigourney Howard… Meine Tante…« Noch im Sprechen schwebte sie davon – ihre braune Hand winkte mir zum Abschied anmutig zu, ehe sie mit der Gruppe ihrer Freunde an der Tür verschmolz.
    Ein wenig beschämt, weil ich gleich bei meinem ersten Besuch so lange geblieben war, gesellte ich mich zu Gatsbys letzten Gästen, die in einer Traube um ihn herumstanden. Ich wollte ihm erklären, ich hätte ihn zu Beginn des Abends überall gesucht, und mich dafür entschuldigen, dass ich ihn bei unserer Begegnung im Garten nicht erkannt hatte.
    »Lassen Sie’s gut sein«, beeilte er sich, mich zu beruhigen. »Verschwenden Sie keinen Gedanken mehr daran, alter Knabe.« Die vertraute Anrede drückte nicht mehr Vertrautheit aus als die Hand, die begütigend meine Schulter streifte. »Und vergessen Sie nicht – morgen früh um neun drehen wir eine Runde im Wasserflugzeug.«
    Dann der Butler hinter ihm:
    »Philadelphia am Telefon für Sie, Sir.«
    »In Ordnung, einen Moment. Sagen Sie, ich käme gleich… Gute Nacht.«
    »Gute Nacht.«
    »Gute Nacht.« Er lächelte, und auf einmal schien es mir auf eine erfreuliche Weise bedeutsam zu sein, dass ich unter den Letzten war, die gingen – als hätte er es die ganze Zeit so gewünscht. »Gute Nacht, alter Knabe… Gute Nacht.«
    Als ich jedoch die Treppe hinunterging, sah ich, dass der Abend noch nicht ganz vorüber war. Etwa zwanzig Meter von der Tür entfernt beleuchteten ein Dutzend Scheinwerfer eine groteske, turbulente Szene. Ein neues Coupé, das Gatsbys Einfahrt kaum zwei Minuten zuvor verlassen hatte, war im Straßengraben gelandet, zwar nicht umgekippt, aber gewaltsam eines Rades beraubt. Ein scharfer Mauervorsprung schien der Grund dafür, dass sich das Rad,

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