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Der große Gatsby (German Edition)

Der große Gatsby (German Edition)

Titel: Der große Gatsby (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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dunklen, überfüllten Restaurants bei Schweinswürstchen, Kartoffelbrei und Kaffee. Eine Zeitlang hatte ich sogar ein Verhältnis mit einem Mädchen, das in Jersey City wohnte und in der Buchhaltung arbeitete, doch dann warf ihr Bruder immer öfter böse Blicke in meine Richtung; als sie daher im Juli in den Urlaub fuhr, ließ ich es sacht einschlafen.
    Für gewöhnlich aß ich im Yale Club zu Abend – was aus irgendeinem Grund das trübseligste Ereignis meines Tages war –, und danach ging ich hinauf in die Bibliothek, um mich dort pflichtschuldig eine Stunde lang über Kapitalanlagen und Wertpapiere zu informieren. Meistens waren ein paar Krawallmacher im Club, aber sie kamen nie in die Bibliothek, und so ließ es sich dort gut arbeiten. An lauen Abenden schlenderte ich später die Madison Avenue entlang, am alten Murray Hill Hotel vorbei und über die Dreiunddreißigste bis zur Pennsylvania Station.
    Allmählich begann ich New York zu mögen, seine spritzige, aufregende Atmosphäre bei Nacht ebenso wie die Befriedigung, die das ständige Geflimmer von Männern und Frauen und Maschinen dem ruhelosen Auge verschafft. Es gefiel mir, die Fifth Avenue entlangzulaufen, romantische Frauen aus der Menge auszuwählen und mir vorzustellen, ich würde in wenigen Minuten in ihr Leben eintreten und niemand würde es je erfahren oder Anstoß daran nehmen. Manchmal folgte ich ihnen im Geist bis zu ihren Wohnungen, die an verschwiegenen Straßenecken lagen, und sie drehten sich um und erwiderten mein Lächeln, ehe sie durch eine Tür in warme Dunkelheit entschwebten. Im verzauberten Zwielicht der Großstadt verspürte ich bisweilen eine quälende Einsamkeit und spürte sie auch bei anderen – armen jungen Angestellten, die sich vor Schaufenstern herumdrückten, bis die Zeit gekommen war, allein im Restaurant zu Abend zu essen; jungen Angestellten in der Dämmerung, die die entscheidenden Momente der Nacht und des Lebens vergeudeten.
    Und um acht, wenn auf den dunklen Ost-West-Schneisen nördlich der zweiundvierzigsten Straße die brummenden Taxis, manchmal zu fünft nebeneinander, ins Theaterviertel unterwegs waren, wurde mir abermals das Herz schwer. Gestalten lehnten sich in den Taxis aneinander, Stimmen sangen, Gelächter über einen ungehörten Witz erscholl, und glühende Zigaretten zeichneten unverständliche Gesten in die Luft. Ich stellte mir vor, dass auch ich irgendeiner Vergnügung entgegenstrebte und ihre intime Vorfreude teilte, und wünschte ihnen alles Gute.
    Für eine Weile verlor ich Jordan Baker aus den Augen, doch im Hochsommer sahen wir uns wieder. Zuerst schmeichelte es mir, mit ihr auszugehen, weil sie Golfmeisterin war und alle Welt ihren Namen kannte. Später kam noch etwas anderes hinzu. Ich war nicht eigentlich verliebt, verspürte aber eine Art zärtlicher Neugier. Das gelangweilte, hochmütige Gesicht, das sie der Welt zeigte, verbarg etwas – irgendwann verbergen die meisten Verstellungen etwas, auch wenn es anfangs nicht so ist –, und eines Tages fand ich heraus, was es war. Als wir zusammen auf einem Hausfest in Warwick waren, ließ sie einen geliehenen Wagen mit offenem Verdeck draußen im Regen stehen und redete sich mit einer Lüge heraus – und da fiel mir plötzlich die Geschichte wieder ein, deren ich mich an dem Abend bei Daisy nicht hatte entsinnen können. Bei ihrem ersten großen Golfturnier hatte es einen Zwischenfall gegeben, der beinahe in die Zeitungen gekommen wäre: Es wurde damals gemunkelt, sie hätte in der Halbfinalrunde ihren Ball aus einer schlechten in eine bessere Lage befördert. Die Sache nahm beinahe die Ausmaße eines Skandals an – dann legte sich die Aufregung wieder. Ein Caddie zog seine Aussage zurück, und der einzige andere Zeuge räumte ein, dass er sich womöglich geirrt habe. Vorfall und Name waren mir gemeinsam im Gedächtnis haftengeblieben.
    Jordan Baker mied kluge, scharfsinnige Männer instinktiv, und nun begriff ich, warum sie das tat: Sie fühlte sich auf einem Terrain, wo jede Abweichung vom Kodex als unmöglich galt, einfach sicherer. Sie war durch und durch unehrlich. Sie ertrug es nicht, im Nachteil zu sein, und aufgrund dieses Widerwillens hatte sie vermutlich schon als ganz junges Mädchen begonnen, sich in Ausflüchte zu retten, um der Welt jenes kühle, unverschämte Lächeln zeigen und dennoch die Bedürfnisse ihres harten, anmutigen Körpers befriedigen zu können.
    Mir war das einerlei – Unehrlichkeit wird einer Frau nie allzu stark

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