Der große Gatsby (German Edition)
»Wissen Sie das?«
»Er ist bloß ein Mann namens Gatsby.«
»Wo kommt er her, meine ich? Und was macht er?«
»Jetzt wollen Sie das also auch wissen«, sagte sie mit einem matten Lächeln. »Na schön – er hat mir einmal erzählt, er habe in Oxford studiert.«
Ein verschwommenes Bild nahm mehr und mehr Gestalt hinter ihm an, doch mit ihrer nächsten Bemerkung verflüchtigte es sich wieder.
»Aber das glaube ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Ich weiß nicht«, sagte sie. »Ich glaube einfach nicht, dass er dort war.«
Irgendetwas an ihrem Ton rief mir in Erinnerung, wie das andere junge Mädchen »Ich glaube, er hat jemanden umgebracht« gesagt hatte, was meine Neugier noch mehr anstachelte. Hätte mir jemand erklärt, Gatsby stamme aus den Sümpfen Louisianas oder der Lower East Side New Yorks, ich hätte keinen Moment gestutzt. Das war vorstellbar. Aber es schien doch nicht möglich – wenigstens für mich in meiner provinziellen Unerfahrenheit nicht –, dass ein junger Mann lässig aus dem Nichts herbeikam und sich einen Palast am Long-Island-Sund kaufte.
»Jedenfalls gibt er große Partys«, sagte Jordan, was ihre Art war – mit dem typischen Widerwillen des Städters gegen alles Konkrete –, das Thema zu wechseln. »Und ich mag große Partys. Sie sind so intim. Auf kleinen Partys ist man nie unter sich.«
Ein Paukenschlag ertönte, und plötzlich schallte die Stimme des Orchesterleiters über die Echolalie des Gartens hinweg.
»Meine Damen und Herren«, rief er. »Auf Wunsch von Mr. Gatsby spielen wir jetzt für Sie Mr. Vladimir Tostoffs neueste Komposition, die letzten Mai in der Carnegie Hall so viel Aufsehen erregt hat. Wenn Sie Zeitung lesen, wissen Sie, dass es eine große Sensation war.« Er lächelte mit leutseliger Herablassung und fügte hinzu: »Und was für eine!«, worauf alle lachten.
»Das Werk«, schloss er munter, »heißt Vladimir Tostoffs Weltgeschichte des Jazz. «
Welcher Natur Mr. Tostoffs Stück war, entging meiner Aufmerksamkeit, denn als es eben begonnen hatte, entdeckte ich Gatsby, der allein auf den Marmorstufen stand und wohlgefällig von einer Gruppe zur anderen blickte. Seine gebräunte Haut spannte sich ansehnlich straff über seinem Gesicht, und sein kurzes Haar sah aus, als würde es täglich geschnitten. Ich konnte nichts Zwielichtiges an ihm erkennen und fragte mich, ob er sich auch dadurch von seinen Gästen abhob, dass er nicht trank, denn er wirkte umso korrekter, je mehr die allgemeine Ausgelassenheit wuchs. Als die Weltgeschichte des Jazz verklungen war, legten die Mädchen welpenhaft verspielt ihre Köpfe an männliche Schultern, sanken übermütig rückwärts in männliche Arme, ja sogar in ganze Männergruppen, gewiss, dass einer ihren Fall schon aufhalten würde – aber keines sank rückwärts in Gatsbys Arme, kein französischer Pagenkopf berührte Gatsbys Schulter, und kein Gesangsquartett formierte sich mit Gatsbys Kopf dazwischen.
»Verzeihen Sie bitte.«
Gatsbys Butler stand auf einmal neben uns.
»Miss Baker?«, fragte er. »Verzeihen Sie, aber Mr. Gatsby würde gerne unter vier Augen mit Ihnen sprechen.«
»Mit mir?«, rief sie überrascht aus.
»Ja, Madam.«
Sie erhob sich langsam, warf mir einen erstaunten Blick zu und folgte dem Butler zum Haus. Mir fiel auf, dass sie ihr Abendkleid, vielmehr alle ihre Kleider, wie einen Sportdress trug – ihre Bewegungen waren von einer Anmut, als hätte sie an einem klaren, kühlen Morgen auf dem Golfplatz laufen gelernt.
Ich war allein, und es ging auf zwei Uhr zu. Seit einer Weile drangen verworrene und faszinierende Geräusche aus einem langen, vielfenstrigen Raum über der Terrasse. Um Jordans Student zu entkommen, der sich mittlerweile mit zwei Revuegirls angeregt über Geburtshilfe unterhielt und mich beschwor, ihm Gesellschaft zu leisten, ging ich hinein.
Der Raum war voller Menschen. Eins der Mädchen in Gelb spielte Klavier, und neben ihr stand eine großgewachsene, rothaarige junge Dame aus einem berühmten Revuechor und sang. Sie hatte eine ganze Menge Champagner getrunken und war während ihres Vortrags unpassenderweise zu der Überzeugung gelangt, dass alles sehr, sehr traurig war – sie sang nicht nur, sondern sie weinte auch. Wann immer das Lied eine Pause vorsah, füllte sie sie mit keuchenden, gebrochenen Schluchzern, ehe sie in bebendem Sopran die nächste Zeile anstimmte. Die Tränen strömten ihr über die Wangen – wenn auch nicht ungehindert, denn sobald sie mit ihren
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