Der große Gatsby (German Edition)
wurde die finanzielle Lage ernst, mit dem Jahr 1934, als sich die Post zurückzog, bedrohlich. Plötzlich fielen die Story-Honorare von eben noch 3000 Dollar auf 250 Dollar – ein Magazin wie Esquire konnte sich nicht mehr erlauben. Keine der vielen Dutzend Erzählungen seiner letzten sieben Lebensjahre gab der Autor in Buchform heraus. An Max Perkins, seinen Lektor beim Verlag Charles Scribner’s, schrieb er 1935 eine Notiz, die ausdrücklich vor den Schwächen dieser Geschichten – Sentimentalität, handwerkliche Schlampereien – warnt und eine Veröffentlichung »nur im Fall meines plötzlichen Todes« vorsieht. Erst 1979 erschienen diese niemals zuvor gesammelten Erzählungen unter dem Titel The Price Was High: Fifty Uncollected Stories by F. Scott Fitzgerald beim Verlag mjf Books in New York.
Man muss das Fundament von Fitzgeralds Wohlstand kennen, um zu ermessen, wo in den zwanziger Jahren seine Möglichkeiten lagen. Schon früh hatte er begriffen, dass er mit Erzählungen für die Hochglanzmagazine leichtes Geld verdienen konnte, ohne sein Schreiben voranzubringen. Umso erstaunlicher war, was 1924 geschah. Der gehätschelte Autor, der schon zwei erfolgreiche Romane sowie zwei Kurzgeschichtensammlungen veröffentlicht hatte, entschloss sich, ein ernsthafter Künstler zu werden. Es scheint allein der Gatsby-Stoff gewesen zu sein, der den siebenundzwanzigjährigen Fitzgerald verwandelte. Die Spuren seines Ernstes sind in den Briefen aus dieser Zeit zu entdecken. Er, der bis dahin als literarischer Ausdruck seiner Generation und Verkörperung des Jazz Age umhergelaufen war, schien die Ausbeutung seiner glamourösen Biographie leid zu sein.
»Lieber Max«, schreibt Fitzgerald vermutlich am 10.April 1924 von Great Neck (Long Island) aus an Perkins, »noch einige Worte zu unserem Gespräch heute Nachmittag.« Dann folgt eine bittere Selbstkritik, in deren Verlauf sich Fitzgerald der Unselbständigkeit, der Trägheit, des Trinkens und der Streitsucht bezichtigt. Die Zerknirschung nimmt gut eine halbe Druckseite ein. Plötzlich wechselt der Schreiber die Tonart. Er spüre eine »unglaubliche Kraft in sich«, vertraut er seinem Lektor an, mehr als jemals zuvor. In den zurückliegenden Jahren habe er viel Energie verschwendet, doch er habe eben viel mehr gelebt als andere und für sein Schreiben auch mehr persönliche Erfahrung »verbrauchen« müssen. Was ja stimmt: Exemplarische Zeitbilder wie Diesseits vom Paradies (1920) und Die Schönen und Verdammten (1922), die Fitzgerald zu Bestsellerruhm geführt hatten, waren als kaum verhüllte autobiographische Bücher gelesen worden. Jetzt sollte alles anders werden. »Dieses Buch«, schrieb Fitzgerald über seinen in Arbeit befindlichen Roman, »wird eine bewusste künstlerische Leistung sein & hängt von ihr ab, wie es bei den ersten Büchern nicht der Fall war.«
Früher, heißt das, reichte das authentisch geschilderte Lebensgefühl des Jazz Age aus, um auf dem Buchmarkt Erfolg zu haben. Jetzt bedurfte es einer Vision und bewusster künstlerischen Gestaltung. Im Mai reiste das Ehepaar Fitzgerald mit 7000 frisch verdienten Dollar an die Côte d’Azur und mietete sich ein Haus in der Nähe von Saint-Raphaël. Von französischer Kultur, von Kirchen, Bauwerken, Wein oder gar französischen Intellektuellen wollten die Fitzgeralds nichts wissen. Ihr Verhalten entsprach dem Klischee reicher amerikanischer Touristen an Europas südlichen Küsten, und die Versuche, der Landessprache näherzukommen, endeten kläglich. In den folgenden Monaten entstand die erste vollständige Fassung des Großen Gatsby, eines Stoffes, den der Autor schon im Jahr 1922 ins Auge gefasst und dessen Bearbeitung er wegen der Produktion seines (spektakulär erfolglosen) Theaterstücks The Vegetable aufgeschoben hatte.
Die Zusammenarbeit zwischen F. Scott Fitzgerald und Max Perkins gehört zu den glücklichen Verbindungen in der modernen amerikanischen Literatur. Wer nicht genau wissen sollte, was gute Lektoren wert sind, der lese den erstmals 1971 erschienenen Briefwechsel Dear Scott/Dear Max. Perkins, der Förderer von Thomas Wolfe, Ring Lardner und Ernest Hemingway (den Fitzgerald ihm voller Enthusiasmus empfohlen hatte), sah seine Aufgabe als Lektor allein darin, dem Autor zur Verwirklichung seines schriftstellerischen Ideals zu verhelfen. Dem jungen Fitzgerald gegenüber war er nicht nur ein kluger, genauer Leser, sondern auch ein behutsamer Ratgeber, der nie ins Moralisieren verfiel und die
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