Der große Gatsby (German Edition)
wären? Vom Talent einmal abgesehen, was wären die Fehler, Dummheiten und Niederstürze gewesen? Hätte Alkohol eine Rolle gespielt so wie bei ihm? Luxus? Ein Pelzmantel für Zelda? Die heutige Phantasie, halbwegs krisensicher und außerdem sozialstaatlich gepolstert, reicht wohl nicht annähernd aus, um sich die Verführungen der zwanziger Jahre in Amerika vorzustellen. Doch darum ging es in Fitzgeralds Leben: Glanz, Schönheit, teure Autos. Sehr viele Cocktails. Das Gefühl, jung zu sein und den Traum im nächsten Augenblick am Wickel zu haben. Und genau davon handelt Der große Gatsby aus dem Jahr 1925, sein dritter, sein kürzester und sein größter Roman.
Glücksversprechen und krasser Materialismus prallen darin aufeinander. Der große Gatsby erzählt von der Macht des Geldes inmitten des Aschentals, über das die riesigen, bebrillten, ominösen Augen von Doktor J. T. Eckleburg wachen. Es sind hochsymbolische Orte, durch die wir geführt werden. Hier ein Ödland, das neben dem Waste Land bestehen kann, das T. S. Eliots großes Gedicht nur drei Jahre zuvor in die poetische Landkarte der Moderne eingezeichnet hat. (Fitzgerald kannte es nahezu auswendig.) Dort, in den Villen der Oberklasse, die ungehemmte Entfaltung materiellen Überflusses, schäbige Vergnügungen in Hotels, Autofahrten über flimmernden Asphalt, dazu die Langeweile, die mit völliger Übersättigung einhergeht. Die teuersten Frauen, die verwöhntesten Prinzessinnen New Yorks schweben in Gatsbys Garten durch die warme, sternenübersäte Nacht, ohne den Gastgeber der Party je kennenzulernen. Fitzgeralds Sprache erschafft ein Paradies der Reichen, dessen sinnliche Verführungskraft ebenso außer Zweifel steht wie seine innere Verderbtheit. Das eine ist nur mit dem anderen zu haben. Nie aber hat Fäulnis so betörend geduftet.
Ein einziger unter all diesen Männern, Jay Gatsby, jagt etwas Unnennbarem nach, dem Bild einer Frau, einer Erinnerung, vielleicht einem absurden Ideal, das ihn dazu angestachelt hat, ein Märchenschloss für eine Abwesende zu bauen. Von dieser Einfachheit ist die Geschichte, die Scott Fitzgerald erzählt. Natürlich endet sie böse. Den elegischen letzten Absatz des Romans, der die Tragödie auf Amerika selbst bezieht, verschob Fitzgerald vom Ende des ersten Kapitels dorthin; wichtig bleibt, dass ein alles durchdringendes Verlustgefühl von Anfang an beabsichtigt war. Das amerikanische Gemeinwesen ist nicht das, wofür es sich selbst hält. Es nimmt Opfer wie das des ungeliebten Gatsby in Kauf. So wie vor dem Wochenende kistenweise Orangen heranrollen, die das Dienstpersonal für durstige Gäste auspresst und als entsaftete Hälften wieder fortschafft, genauso benutzen die Figuren einander: Jeder muss sehen, wo er bleibt. Tom benutzt Myrtle. Myrtle benutzt Wilson. Gatsby benutzt Jordan. Jordan benutzt Nick. Daisy benutzt Tom. Was als Schlussbild von dem riesigen Anwesen im Kopf bleibt, ist Gatsbys Leiche, die auf einer Luftmatratze im Swimmingpool treibt. »Denken Sie nur, alter Knabe, ich habe den Pool den ganzen Sommer über nicht benutzt.« In diesem Roman sind die einfachsten Sätze zum Heulen.
Fitzgerald war prädestiniert, eine solche Figur zu erfinden. Das Halbseidene, Anrüchige und Erschwindelte lieferten ihm einzigartiges Anschauungsmaterial. Hochstapelei war in den zwanziger Jahren eine Berufsbezeichnung. Ihn selbst, den Autor, der alle Maskenspiele beherrschte, muss man sich dennoch als Moralisten vorstellen. Ohnehin bedarf die verbreitete Fitzgerald-Legende vom blonden Liebling der Roaring Twenties,den es tragisch in die Tiefe riss, dringend der Korrektur. Denn die entscheidende Frage war, wie viel Kunst trotz des ersten berauschenden Erfolgs in sein Leben passte, und nimmt man seine insgesamt ziemlich kurze Produktionsspanne – er starb 1940, mit nur vierundvierzig Jahren, an seinem dritten Herzinfarkt –, dann flößt einem die Bilanz dieses trinkenden Schreibers großen Respekt ein. Will man sich davon ein genaueres Bild machen, ist nichts so lehrreich wie ein Blick auf Fitzgeralds Einnahmen als Berufsschriftsteller. Sie zeugen nicht nur von Fleiß, der gegen beträchtliche Widerstände aufrechterhalten wurde. Diese Einnahmen finanzierten buchstäblich seine mittleren bis späten Romane und blieben bis zum Ende, als der luxuriöse Lebensstil von Scott und Zelda Fitzgerald längst wie ein Märchen aus einer anderen Epoche anmutete, der treue Indikator seines Erfolgs beim breiten Publikum. Auch dann
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