Der grosse Horizont
Philipp Marlowe machen. Aber vielleicht würde Philipp Marlowe einen Fehler machen und bleiben.
»Wirst du kommen?«, fragte Carson.
»Ja«, antwortete Haid.
34
Die City Lights-Buchhandlung ist ein kleiner Laden mit einem Leinendach über dem Gehsteig der Columbus Avenue. Als Haid die Buchhandlung betrat, sah er Carson hinter einem Stapel von Büchern sitzen und mit dem Verkäufer sprechen. Sie winkte Haid zu. Worauf wollte Carson hinaus? Das Notizbuch mit der Aufschrift: »FREUNDE DER ERDE« fiel ihm ein, und er suchte nach einem Zusammenhang. Carson bezahlte, nahm Haid unter den Arm und winkte einem Taxi zu. Das Taxi hielt vor Mehrings Haus. Carson ging voraus und führte ihn durch einen schmutzigen, braunen Gang hinter das Haus. Von dort stieg sie über eine Hintertreppe zu ihrem Zimmer. Die Fenster standen offen und es war kalt. Hastig schloß Carson das Fenster. Haid zog sich wortlos aus. Er legte sich nackt in das eiskalte Bett und fühlte, daß auch Carsons Körper kalt war. FREUNDE DER ERDE, dachte er. Dann schlief er mit abwesendem Kopf mit Carson.
35
In der Nacht träumte er von seiner Frau. Er sah sie in einer fremden Wohnung mit einem fremden Mann, den sie umarmte. Sie hatte ein glückliches, verklärtes Gesicht, als erlebte sie gerade etwas, was sie sich immer gewünscht hatte. Später erwachte er. Es regnete und der Regen fiel rauschend und klopfend auf das Holzdach, während er über seinen Traum nachdachte. Nach einer Weile erwachte auch Carson, und er spürte, wie sie seinen Körper liebkoste. Der Traum hielt ihn so gefangen, daß er vorgab, tief zu schlafen. Carson drehte sich von ihm weg und lag ruhig atmend da. Haid schlief wieder ein. Er erwachte durch ein Rumoren in der Küche. Mehring mußte das Geschirr waschen, denn Haid hörte das Glucksen von Wasser, das feine Klingen von Glas, das Klappern von Pfannen und das kurze harte Geräusch, wenn ein Gegenstand auf Holz gestellt wird. Carson lag mit offenen Augen neben ihm und begann ihn lächelnd zu lieben. Es war ein merkwürdiges Gefühl zu wissen, daß Mehring im Nebenraum ruhelos die Küche saubermachte, während er sich mit Carson vergnügte. Aber er fühlte nicht nur Mitleid mit Mehring, sondern als Carson stöhnte, wünschte er insgeheim, Mehring möge es gehört haben. Draußen war es noch immer dunkel und der Regen hatte noch nicht nachgelassen. Als er um sechs Uhr erwachte, sah er in einer Ecke des Zimmers einen runden, grünen Koffer. In der Küche war es still. Im ersten Augenblick wollte Haid sich aus dem Staub machen. Aber er war nackt und Carson würde erwachen, und außerdem war er nicht sicher, ob nicht Mehring in der Küche saß und Zeitung las. Er wagte zunächst nicht einmal, auf die Toilette zu gehen. Dann aber stand er auf, schlich durch den Korridor zum Bad und knipste das Licht an. Mit einer häßlichen Eindringlichkeit fielen ihm die Einzelheiten des Badezimmers auf: der wiesengrüne Teppich, auf dem seine nackten Füße standen, der Ölanstrich an der Wand, der abgegriffene Druckknopf, mit welchem er das Licht angeknipst hatte, die weiße Metallbadewanne, die ungeordneten Toilettenartikel auf dem Glasbrett.
Er wollte sich die Hände waschen und bemerkte erst jetzt, daß nirgends ein Waschbecken war. Daher drehte er das Wasser über der Badewanne auf, und aus Angst, zuviel Lärm zu machen oder sich mit heißem Wasser zu verbrühen, wusch er sich unter einem kalten, dünnen Strahl die Hände und den Körper. Mehring mußte das Haus schon verlassen haben, denn niemand störte ihn. Er trocknete sich ab und ging zurück in das Zimmer. Er würde sich nicht aus dem Staub machen. Er war zu nichts verpflichtet und hatte das Recht, allein zu bleiben. Er schaltete das Licht in Carsons Zimmer an und sah jetzt Carson, halbnackt auf dem Bett, mit geöffneten Augen, die zur Decke starrten. Eine Sekunde lang wußte er nicht, was das bedeuten sollte. Dann lief er zu Carson und blickte in ihr Gesicht. Er griff nach ihrem Handgelenk, tastete nach dem Puls. Er lauschte an ihrer Brust, an ihrem Mund und sah wieder ihre Augen, die ins Nichts blickten. Der Mund war halb geöffnet und die Zähne schimmerten hinter den Lippen. Einige Minuten lang vermochte er sich nicht zu bewegen; hatte sie Selbstmord begangen? War sie krank gewesen? Sollte er einen Arzt holen? Er stürzte in Mehrings Zimmer. Das Bett war gemacht, der Schreibtisch war aufgeräumt. Mehring war abgereist. Ein wahnwitziger Gedanke suggerierte ihm,
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