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Der grosse Horizont

Der grosse Horizont

Titel: Der grosse Horizont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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auf nichts zu warten. Er ging als Philipp Marlowe zwischen den leeren Bankreihen hindurch, setzte sich hin und beobachtete die Wiese auf der anderen Fahrbahnseite. Der Platz war ideal, um mit einem Erpresser zu sprechen. Haid konnte sich vorstellen, wie an einem Sommersonntag Tausende von Menschen auf den Wiesen lagen und picknickten und wie einer davon ihn von weitem unerkannt mit dem Feldstecher beobachtete, um sicherzugehen, daß er allein war. Der School-Bus kam leer zurück und verschwand hinter der nächsten Kurve. Mehring fotografierte Carson unter einem Kirschbaum, und Haid konnte von weitem seine Kommandos hören. Carson folgte den Kommandos mit trotzigem Gesicht. Sie sah aus wie ein zwölfjähriges Mädchen.
     
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    Mehring kam verschwitzt zum Auto zurück, als habe er sich angestrengt. Er murmelte etwas von Vorlesungen, die er am Nachmittag halten müsse und beeilte sich wegzukommen. Carson saß mit hochgezogenen Augenbrauen auf dem Vordersitz. Haid fühlte, daß er nur ein Fremdkörper war. Auf einem Poloplatz liefen Pferde herum, und auf zwei Pferden saßen Männer mit Poloschlägern und übten. »Das ist für dich«, sagte Carson und drückte ihm ein Notizbuch in die Hand. Auf dem Notizbuch war eine Meeresbucht abgebildet, darunter stand:
    VON DEN FREUNDEN DER ERDE. DIE FREUNDE DER ERDE SIND EINE ORGANISATION, DIE SICH FÜR DIE ERRETTUNG, WIEDERHERSTELLUNG UND VERNÜNFTIGE NUTZUNG DER ERDE EINSETZT. WIR LADEN SIE EIN BEIZUTRETEN.
    Es folgte die Adresse. Als Haid mit dem Lesen geendet hatte, parkte Mehring den Toyota an einer Kaimauer, und als Haid aus dem Fenster blickte, sah er den blaugrünen Pazifik und die kleinen weißen Schaumkronen auf dem Wasser. Er steckte das Notizbuch ein und stieg über die Steintreppen zum Strand hinunter. Ein kalter, leichter Wind wehte. Carson lief mit zerzausten Haaren einem schmutzigen, weißen Hund nach, der den Strand entlang trottete. Haid wußte nicht, was mit dem Notizbuch gemeint war. Er hatte darin herumgeblättert, aber es war leer gewesen. Carson lief jetzt neben dem Hund her und sprach zu ihm, wie zu einem Menschen, DIE FREUNDE DER ERDE. Er betrachtete Mehring, der ihm lustlos folgte. Mehring bemerkte, daß er ihn betrachtete und fragte ihn, was er wolle.
    »Nichts«, antwortete Haid. Ob er ihn fotografiere?
    Haid fotografierte ihn, wie er klein und glatzköpfig, die wenigen Haare vom Wind in die Höhe gezaust, vor dem Pazifik stand und lachte. EIN FREUND DER ERDE . Für einen Augenblick kam ihm Mehring beschränkt vor, als er im Wind vor dem Pazifik stand und sich fotografieren ließ. Eine Welle überschwemmte den Platz, auf dem Mehring stand, und Mehring bekam, während er fotografiert wurde, nasse Füße. Was hatte Carson mit dem Notizbuch beabsichtigt? Mehring stapfte auf ihn zu und nahm ihm die Kamera ab. »Ich habe kalte Füße«, sagte Mehring. Er ging müde und schlaff zum Auto zurück, setzte sich hinein und sah zu, wie Carson mit dem Hund über den Strand lief und wie Haid im Wind stand und auf das Meer blickte.
     
     
32
     
     
    Auf der Fahrt durch das Universitätsgelände und die Vorstadt summte Carson vor sich hin. Von einem Hügel aus konnte Haid einmal die ganze Stadt sehen, und da es still war, erschien ihm alles friedlich. Mehring fuhr bis in das Chinesenviertel.
    Die Straße ging steil bergab und Haid bat, aussteigen zu dürfen.
    »Du kommst am Abend?«, fragte Mehring.
    »Ja«, antwortete Haid und ging davon. Er befand sich in einem Stadtteil, den er kannte. Das Licht fiel wie weißer Puder vom Himmel. Er betrat ein Restaurant und bestellte chinesische Speisen, die er nur kostete. Als er zum Fenster hinausblickte und einen Friseurladen sah, bestätigte sich seine Wahrnehmung, daß vor den Friseurläden blau-weiß-rote Zylinder in Glasbehältern rotierten. An der Bar saßen Chinesen und sangen eintönig. Dann zog es kalt herein, da die Tür repariert wurde. Haid fühlte sich überwältigt, denn die kalte Luft ließ alles noch fremder erscheinen. Er aß ein wenig, rauchte und trank. Niemand beachtete ihn. Als er bezahlte, fand er in seiner Tasche den Zettel mit Carsons Telefonnummer.
     
     
33
     
     
    Am Abend rief er Mehring an, um ihm zu sagen, daß er abreise. Carson hob ab.
    »Ich reise ab«, sagte Haid.
    Nach einer Pause sagte Carson: »Ich möchte dich sprechen. Es ist sehr wichtig.«
    Haid schwieg und Carson sagte, wo sie auf ihn warten würde.
    Haid dachte nach. Philipp Marlowe würde aufhängen und abreisen. Das würde

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