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Der grosse Horizont

Der grosse Horizont

Titel: Der grosse Horizont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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ihn jemals enthusiastisch gesehen zu haben. Seine innere Kälte jedoch ließ ihn nicht grob zu seiner Umwelt werden, sondern sich in sich selbst zurückziehen. Haid dachte einmal, daß Kapra ein Mensch war, der lange und geduldig warten konnte. Aber er war gewiß auch ein Mensch, der seine Chancen wahrte.
    Kapra griff nach Haids Koffer und stellte ihm die junge Frau an seiner Seite vor. Sie hieß Kim, war wie Kapra außergewöhnlich groß und trug wie er cremefarbene Jeans. Sie hatte das blonde Haar, die weißen Zähne, die großen gütigen Hände und das breite Lächeln einer gesunden skandinavischen Bäuerin. Auf der Fahrt nach Santa Monica, wo Kapra in der Ocean Avenue ein Haus gemietet hatte, in dem, wie er sagte, der Dichter Scott Fitzgerald gewohnt habe, erzählte ihm Kapra eine Geschichte über Scott Fitzgerald und Hemingway. Er erzählte, daß Fitzgerald Schwierigkeiten mit Frauen gehabt habe. Eines Tages sei Hemingway mit ihm auf die Toilette gegangen, um beim Urinieren Fitzgeralds Glied zu sehen. Dabei habe er festgestellt, daß Fitzgeralds Glied größer gewesen sei als sein eigenes. Obwohl Haid nicht wußte, ob Kapra einen Witz erzählt hatte oder eine wahre Begebenheit, lachte er, als wisse er Bescheid.
    Das Auto hielt und Kapra führte ihn über eine Holztreppe, die sich an einer Seite des Hauses befand. Die Holztreppe war lang und schmal und zwischen den Fugen wuchsen vereinzelt Blätter. Von der anderen Seite her hingen grüne Äste, die ein Apartmenthaus verdeckten, über die Holztreppe, Haid blieb stehen, stellte den Koffer ab und blickte zurück auf die Straße, von der die Holztreppe wie eine schwindelerregende, breite Leiter zu ihm herunterkam. An einem Fenster des Hauses waren Blumenkästen befestigt, und in dem Stockwerk, das sich auf gleicher Höhe mit der Straße befand, hatte eine Maklerfirma ihr Büro. Ein Mann mit Bürstenhaarschnitt sah zu, wie sie die Treppe hinunterstiegen. Als Haid wieder nach vorn blickte, schien ihm, als führte die Stiege in das dichte Laubwerk von Bäumen. Die Terrasse war schmal und bestand aus rohen Brettern. Ein Straßenköter lungerte schläfrig im Schatten. In seiner Einbildung hörte Haid eine Biene summen. Er folgte Kapra durch die wenig möblierte Küche in ein Zimmer. Der Hund war ihm lautlos gefolgt, bellte kurz, streunte vorsichtig um ihn herum und roch an seinem Schuh. Haid kam der Anblick vor, als sähe er Bilder eines Filmes über einen Film. Währenddessen war Kapra wieder auf die Terrasse getreten und hatte aus einer bauchigen Flasche Wein eingeschenkt. Haid konnte ihn durch einen Türspalt sehen. Er folgte ihm, nachdem er den Koffer abgestellt hatte, nahm das angebotene Glas und schaute stumm auf die grünen Hügel und den Pazifik. Plötzlich dachte er an Carson und fragte – da er allein sein wollte – nach der Toilette.
     
     
3
     
     
    Der leichte Gasgeruch in der Toilette machte ihn benommen. Er setzte sich auf den Boden und dachte eine Weile auf eine sprunghafte Weise an Carson und an Mehrings Badezimmer. Dabei schlief er beinahe ein. Als er die Toilette wieder verließ, bemerkte er, wie sehr ihn die Möbel und Farben des Hauses beeinflußten. Einige Türen waren rot gestrichen und mit weißen oder blauen Drehknöpfen ausgestattet, andere wiederum waren blau wie die Fensterrahmen. Auf dem Bett lag ein Buch mit der Aufschrift: A SEPARATE REALITY. Haid ging auf die Terrasse zurück. Die Luft war angenehm kühl und Vögel zwitscherten. Kapra sagte, daß die Luft im Sommer giftig sei und gelber Staub auf dem Terrassenboden und den Stühlen und den Blättern läge. Überall läge gelber Staub, und wenn man sich längere Zeit im Freien aufhalte, entzündeten sich die Augen. Aber im Frühjahr sei die Luft klar und frisch, und man könne im Freien auf der Terrasse schlafen. Kapra hatte eine Polaroidkamera aus der Wohnung geholt und fotografierte ihn, während er sprach. Gleich darauf sah sich Haid auf einem braungefärbten Bild Wein trinken.
    Der Gedanke, daß die Luft im Sommer giftig war und gelber Staub alles bedeckte, schien ihm unwirklich und fern, als würde sich alles nie ereignen. Er verstand, daß man das Elend nicht sah, wenn man sich nicht zwang, es zu sehen, denn es schien ihm der stärkste Drang zu sein, sich glücklich zu fühlen. Aber es war nicht möglich, glücklich zu sein, ohne abgekapselt zu sein, und das Sich-Abkapseln war etwas Automatisches, wie das Schließen der Augenlider. Es war auch unerträglich, immer alles zu sehen,

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