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Der grosse Horizont

Der grosse Horizont

Titel: Der grosse Horizont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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selben Augenblick torkelte eine Type im Sakko und blauen Hemd heran, blieb neben ihm stehen und spottete: TAXI , TAXI ! Er hob die Hand und grinste Haid mit verschleierten Augen an.
     
     
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    Haid war so in seine Gedanken verstrickt, daß er sich erst zu spät daran erinnerte, in der einundzwanzigsten Straße nach dem verunglückten Auto zu schauen. Er schaute durch die Heckscheibe des Wagens, aber er konnte nichts mehr erkennen. Es hatte wieder heftig zu regnen begonnen. Natürlich fragte sich Haid, ob O’Maley im Hotelzimmer auf ihn warten würde. Und was würde O’Maley ihm sagen, wo er gesteckt hatte, falls er überhaupt zurückgekommen war. Haid wußte nicht, was er sich mehr wünschte: Die Ungewißheit, falls O’Maley nicht wiedergekommen war, oder seine zermürbende Anwesenheit. Er ging auf sein Hotelzimmer, sperrte die Tür auf und sah O’Maley angezogen auf dem Bett liegen. Er hatte die Schuhe anbehalten und hob lässig eine Hand.
    »Hatten Sie einen angenehmen Sonntag?«, fragte er. Haid wußte nicht, was er von der Frage halten sollte. War sie zynisch gemeint? Aus Verlegenheit gestellt?
    »Heute nacht werde ich auf dem Fußboden schlafen«, fuhr O’Maley fort, ohne eine Antwort abzuwarten. »Ich werde Sie morgen nicht mehr belästigen, ich reise ab. Übrigens versuchte ich ein Zimmer zu bekommen, aber es war leider nicht möglich. Ich hoffe, ich störe Sie nicht allzusehr.«
    »Sie wollen morgen abreisen?«, fragte Haid unsicher. »Ja, morgen«, antwortete O’Maley.
     
     
47
     
     
    Es regnete und Haid, der von O’Maley überredet worden war, ihn zum Flugplatz zu begleiten, saß schweigend und hoffnungsvoll im Fond des Wagens. Er wagte noch nicht daran zu glauben, daß O’Maley abreiste. Immer wieder zweifelte er daran, ob O’Maley nicht einen neuen Schachzug vorbereitet hatte, um ihn zu verblüffen. Am Abend hatte Haid einen Ausschnitt aus dem Film »French Connection« im Fernsehen gesehen, in dem ein Autofahrer die Hochbahn, die auf einem Gerüst zehn Meter über der Straße fuhr, verfolgte. Die Hetzjagd führte entlang dem Meer, entgegenkommende Fahrzeuge stellten sich quer und stießen mit dem verfolgenden Auto zusammen. Auf derselben Strecke fuhr Haid nun mit dem Taxi, und er erinnerte sich sofort an den Filmausschnitt.
    Die Eisenkonstruktion, die auf Betonpfeilern über der Straße geführt wurden, verdunkelte das Innere des Taxis. Die Wirklichkeit schien ihm wie eine Luftblase in einem riesigen Gewässer. Er war in diese Luftblase eingeschlossen und das Gewässer war Bedrohung, Ahnung, Unsichtbares. Kleine Kutter tuckerten am East River, am anderen Ufer rauchten Fabrikschlote, und Haid sah von weitem die verwahrlosten Fabrikhöfe.
    O’Maley hatte sich von ihm weggedreht, als wollte er ihm zeigen, daß er kein Gespräch wünschte. Er veränderte seine Haltung auch nicht, als sie später an Einfamilienhäusern am anderen Ufer des East-River vorbeifuhren, an vereinzelten kümmerlichen Forsythiensträuchern und durch Unfälle zerstörten Autos, die am Straßenrand oder in kleineren Wiesen stehengelassen worden waren. »In einer Luftblase mit O’Maley«, dachte Haid. »Für mich wird alles chaotisch, seit er hier ist.«
    »Bitte?« – fragte O’Maley in die Stille.
    »Nichts«, antwortete Haid. Es ärgerte ihn nachträglich, daß er geantwortet hatte, aber auch, daß er sich sein Erstaunen hatte anmerken lassen. Vermutlich hatte O’Maley ihn verunsichern wollen. Und es war ihm – wenn auch nur für einen kurzen Augenblick – gelungen. Nein, nicht nur für einen kurzen Augenblick – denn Haid war sich seiner Unsicherheit nun vollends bewußt geworden. Er starrte auf das braune, schmutzige Gras und las die Hinweisschilder, die zu den Flughafengebäuden führten.
    »Bitte, warten Sie im Wagen«, sagte O’Maley. »Ich erledige das rasch.«
    Warten? Wollte O’Maley nicht abfliegen? Er sah O’Maley voller Mißtrauen nach, wie er im Flughafengebäude verschwand. Wollte er ihn verhaften? Sollte er jetzt verhaftet werden? Möglicherweise hatte O’Maley ihn in eine Falle gelockt …
    Er beobachtete jeden Fremden mißtrauisch, der sich dem Auto näherte. Sollte er fliehen? Aber wie? Er konnte den Fahrer veranlassen, wieder zurückzufahren. Und wenn er sich weigerte? Es konnte sein, daß er mit O’Maley unter einer Decke steckte. Wahrscheinlich war es besser, auszusteigen und ein anderes Taxi zu nehmen. Natürlich konnte O’Maley versuchen, ihn zu verfolgen. Aber von O’Maley

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