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Der grosse Horizont

Der grosse Horizont

Titel: Der grosse Horizont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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konnte sich nicht erklären, weshalb der Wagen plötzlich quer über die Fahrbahn gerast war. Es war so überraschend gekommen, wie Traumbilder plötzlich in andere, die mit den vorherigen nichts mehr zu tun haben, überspringen. Die Frau preßte ein weißes Taschentuch abwechselnd gegen die Hand und die Stirne. Einer der Neger lief zum Wagen und holte eine schwarze Damenhandtasche und einen roten Regenschirm heraus. Haid fragte sich, ob für ihn nicht nur deshalb die Wirklichkeit immer ins Traumhafte umkippte, weil er es wollte. Er war fast geneigt, sich eine Gesetzmäßigkeit in seinem Verhalten einzugestehen. Aber war andererseits wirklich alles eine einfache Kette von Ursachen und Wirkungen? Konnte man alles aus Axiomen und Algorithmen ableiten? Zum Beispiel, daß seine Frau ihn verlassen hatte, welchem Spiel von Ursachen und Wirkungen lag das zugrunde? Sympathie? Überdruß? Frustration? Haß? Leidenschaft? – Was aber erklärten diese Wörter schon? Und daß Carson ihn gedrängt hatte, mit ihm zu schlafen, und daß Christine ihn geliebt hatte? – Ein bebrillter junger Mann hielt eines der gelben Taxis auf. Seine Frau, die einige Schritte hinter ihm herging, eine Tragtasche mit einem Baby in der Hand, war sichtlich stolz auf ihn. Liebe und Abhängigkeit, das war ein Paar von Ursache und Wirkung, das tatsächlich untrennbar verbunden war. Haid ging weiter, drehte sich aber immer wieder um und sah das Auto mit dem zerknitterten Kühler – die Vorderräder eingesunken – quer über der Fahrbahn stehen. Es schien symbolisch für Irrsinn und Gewalt, gestrandeten Ehrgeiz und die Sinnlosigkeit zu stehen, die hinter dem Leben der drei Insassen stecken mochten. Es war vermutlich derselbe Irrsinn, den auch er empfand und den er in der Imbißstube für sich zunächst mehr erfunden als an sich festgestellt hatte. Ein Stück weiter entdeckte Haid einen zerbeulten, silbergrauen Buick vor einem abgeknickten Schild: DOWN TOWN USE BROADWAY. Der Buick mußte schon länger hier stehen, denn die Stellen, an welchen infolge des Unfalls der Lack abgesplittert war, waren schon von Rost befallen. Technik verweste. Der Gestank von Verwesung aus den Gullies mischte sich mit dem leichten Geruch von Abgasen, der ständig in der Luft lag. Tatsächlich schien es Haid, als befände er sich in einer Traumstadt, einem Gegenstück zur Kubin-Stadt PERLE, ja, etwas, wie EINE ANDERE SEITE. Alles war bedrohlich. Es war eine Art lauernde Abgestorbenheit, wie man sie in Kinofilmen sieht, wenn jemand durch eine verlassene Straße geht, in der sich ein Verbrecher versteckt hält: Heruntergezogene Metalljalousien, verhängte Fenster, leere grüne Telefonzellen, durch deren Glasscheiben man die Hörer schlaff auf den Gabeln hängen sieht, Flaschen, Glasscherben, Pappbecher, in einem mit zerrissenem, blauem Papier ausgeschlagenen Schaufenster: Damenbüsten mit Perücken auf den Köpfen und schmutzigen, handgeschriebenen Preiszetteln, die verstreut vor den Damenbüsten liegen.
    Die Nebel sanken immer tiefer und verschlangen langsam die Wolkenkratzer. Was hatte O’Maley dazu gebracht, das Hotelzimmer zu verlassen? Er haßte O’Maley. Er nahm es als völlig natürlich, in Haids Hotelzimmer zu übernachten und als völlig natürlich, daß Haid ihm das einzige Bett überließ. O’Maley ging, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, ob und wann er zurückkommen würde und ohne mitzuteilen, wohin er gegangen war. Er bestimmt über mich, dachte Haid. Ohne ihn würde ich gar nicht hier sein. Ein Polizeiwagen warf plötzlich die Sirene an, die wild aufheulte, fuhr im Rückwärtsgang aus einer Parklücke, karambolierte fast mit einem Taxi, schoß jetzt nach vorn und karambolierte fast mit einer Limousine. Haid nahm alles, was er sah, als Hinweise für seine Angst. Er wußte zwar, daß es sich um die immer wiederkehrende, sonntägliche Apokalypse dieser Stadt handelte, aber gleichzeitig war ihm, als spiegelte die Straße nur seine Gedanken wider. Er streifte durch einen kleinen Park mit leeren blauen, roten und gelben Bänken, aber der Park war so klein, daß er nur wie ein Vorgarten der hohen Häuser, die ihn umgaben, wirkte. Am Rande des Parks befand sich die Hütte eines Zeitungs-Verkäufers. Sie war so schmal, daß sie gerade für eine Person Platz bot. Vor dem Verkäufer auf einem Pult flatterten die Zeitungen unter schweren, schwarzen Eisengewichten. Dieser Zeitungsverkäufer konnte eine Erfindung von Micky Spillane sein. Er würde mit Mike Hammer

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