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Der Große Krieg: Die Welt 1914 bis 1918

Der Große Krieg: Die Welt 1914 bis 1918

Titel: Der Große Krieg: Die Welt 1914 bis 1918 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herfried Münkler
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insgesamt kaum verändert, im Gegenteil: Weil Hippers Schlachtkreuzer allesamt für aufwendige Reparaturen ins Dock mussten, fielen sie für längere Zeit aus, und so wurde die Überlegenheit der Briten noch größer. Ein Ausbruch aus der Nordsee in den Atlantik war nach den Erfahrungen dieser Schlacht noch unwahrscheinlicher geworden – und damit auch die Aussicht darauf, dass es der deutschen Kriegsflotte gelingen könne, die britische Seeblockade zu sprengen. In seinem Bericht an Wilhelm  II . vom 4 . Juli 1916 zog Vizeadmiral Scheer eine ernüchternde Bilanz: «Bei günstigem Verlauf der neu einsetzenden Operationen wird der Gegner zwar empfindlich geschädigt werden können, trotzdem kann kein Zweifel bestehen, daß selbst der glücklichste Ausgang einer Hochseeschlacht England in diesem Kriege nicht zum Frieden zwingen wird. Die Nachteile unserer militärgeographischen Lage gegenüber der des Inselreiches und die große materielle Übermacht des Feindes werden durch die Flotte nicht in dem Maße ausgeglichen werden können, dass wir der gegen uns gerichteten Blockade oder des Inselreiches selbst Herr werden, auch nicht, wenn die Unterseeboote für militärische Zwecke voll verfügbar sind.» [878] Das bedeutete nicht, dass Scheer einen Sieg über England für unerreichbar hielt, er glaubte aber nicht, ihn durch eine direkte militärische Konfrontation erringen zu können. Aussichtsreicher erschien es ihm, mit den U-Booten gegen den schwachen Punkt des Empire vorzugehen: «Ein sieghaftes Ende des Krieges in absehbarer Zeit kann nur durch Niederringen des englischen Wirtschaftslebens erreicht werden, also Ansetzen des Unterseebootes gegen den englischen Handel.» [879] Und das hieß für Scheer, dass dem U-Boot-Krieg gegen die Briten keinerlei Hemmnisse oder Beschränkungen auferlegt werden sollten. Was die Hochseeflotte gegen die
Grand Fleet
nicht geschafft hatte, sollten nun die U-Boote gegen die Handelsschiffe erreichen, die England versorgten.

8. Ludendorffs Vabanque und der Zusammenbruch der Mittelmächte

9. Der Erste Weltkrieg als politische Herausforderung

Fatalismusfallen, Lernblockaden oder politische Psychotherapie
    Unabdingbare Voraussetzung systemischen Lernens ist freilich, dass die These von der «Unvermeidlichkeit» des Ersten Weltkriegs revidiert wird. Diese fatalistische Sichtweise, die sich im Vorfeld des Großen Krieges bei vielen politischen Akteuren beobachten ließ, ist eine der stärksten Varianten der
self-fulfilling prophecy
; sie lässt die Kräfte des Gegenhandelns resignieren und sorgt dafür, dass die Anstrengungen zur Kriegsvermeidung schwächer werden. Die möglichen Akteure schwanken zwischen Verzweiflung und Fatalismus; bei Kurt Riezler, dem Privatsekretär und Berater des Reichskanzlers von Bethmann Hollweg, sind diese Stimmungsschwankungen sehr genau zu beobachten. [1406] Auch in dieser Hinsicht gehören Vorgeschichte und Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu den instruktivsten Lernfeldern, die Politik und Politikwissenschaft heute zur Verfügung stehen. Auch damals konnte man meinen, die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen den Konfliktparteien seien so groß, dass ein Krieg zwischen ihnen jeder rationalen Interessenverfolgung zuwiderlaufe und deshalb ganz unwahrscheinlich sei. Ralph Norman Angell hat in seinem 1909 erschienenen Buch
The Great Illusion
argumentiert, der Kapitalismus habe ein dichtes und engmaschiges Netz aus Finanz- und Wirtschaftsbeziehungen geschaffen, das einen großen Krieg verhindern werde. Außerdem habe der Kapitalismus für eine wachsende Prosperität in Europa gesorgt, von der gerade die großen Länder in Europa profitierten. [1407] Sollte es doch zu einem Krieg kommen, so werde es in ihm keine Gewinner, sondern nur Verlierer geben.
    Im Prinzip haben Karl Kautsky, der führende theoretische Kopf der deutschen Sozialdemokratie, und Joseph Schumpeter, einer der einflussreichsten Ökonomietheoretiker des 20 . Jahrhunderts, wenn auch aus unterschiedlicher Blickrichtung und mit anderem Adressatenkreis, vor und nach dem Ersten Weltkrieg ähnlich argumentiert: [1408] Kautsky hat vor 1914 in seiner Theorie des Ultraimperialismus eine kriegsvermeidende Politik der imperialistischen Mächte prognostiziert, und Schumpeter hat nach 1918 mit seiner These vom atavistischen Charakter des Imperialismus die Auffassung vertreten, nicht der Kapitalismus habe zum Krieg gedrängt, sondern aristokratische Gruppierungen hätten den Krieg gesucht, um ihr Verschwinden

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