Der Große Krieg: Die Welt 1914 bis 1918 (German Edition)
Einigkeit darüber, wie «radikal» Schlieffens und Moltkes Pläne bei der Aufgabe Ostpreußens waren und in welchem Tempo nach ersten Erfolgen im Westen mehrere Armeekorps in den Osten verlegt werden sollten; dazu Wallach,
Vernichtungsschlacht
, S. 162 ff., und Zuber, «Strategische Überlegungen», S. 37 ff.
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Von Jehuda Wallach
(Vernichtungsschlacht)
und Raymond Aron
(Clausewitz)
ist in den 1970 er Jahren die Frage aufgeworfen worden, warum das Deutsche Reich nicht stärker auf eine strategische Defensive gesetzt habe, zumal Clausewitz sie als die stärkere Form (wenngleich mit dem schwächeren Zweck) bezeichnet hatte (Clausewitz,
Vom Kriege
, S. 617 ). Beide haben dies auf eine Abwendung von Clausewitz durch dessen Adepten im Generalstab zurückgeführt; Wallach hat Schlieffen dabei als den «Propheten des Vernichtungskrieges» (S. 62 ff.) bezeichnet. Beide haben in ihrer Kritik an Schlieffen und Moltke d.J. jedoch das Zeitproblem heruntergespielt. Vermutlich war das auch mit einer der Gründe, warum 1905 nicht der defensiver denkende Goltz, sondern Moltke zum Nachfolger Schlieffens bestellt wurde (vgl. Krethlow,
Colmar von der Goltz
, S. 258 – 264 ).
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In der Literatur besteht ein gewisser Dissens darüber, ob die im sogenannten Plan XVII enthaltenen Angriffsabsichten der Franzosen ernst zu nehmen sind oder ob der Angriff durch Lothringen nur ein symbolischer Ersatz für den von Joffre eigentlich präferierten Vorstoß über Belgien war, den er mit Rücksicht auf Großbritannien fallengelassen hatte. Herwig (
The First World War
, S. 65 – 69 ) klassifiziert Plan XVII als «primarily a political document» (S. 68 ). Ausführlich dazu Schmidt, «Frankreichs Plan XVII », S. 221 ff. Eine sehr viel stärkere militärische Bedeutung wird Plan XVII dagegen von Keegan,
Der Erste Weltkrieg
, S. 63 – 66 , und Stevenson,
1914 – 1918
, S. 70 f., zugesprochen; Strachan (
The First World War
, Bd. 1 , S. 190 – 198 , insbes. S. 194 ) wiederum deutet Plan XVII eher als einen Plan zur Mobilisierung, Konzentrierung und Entfaltung der französischen Streitkräfte.
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Zum Drehtüreffekt vgl. Chickering,
Das Deutsche Reich
, S. 34 .
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In der Debatte über den Schlieffenplan lassen sich vier Kontroversen unterscheiden, in denen Forschungsfragen und politische Positionierungen miteinander verbunden sind: In der ersten Kontroverse ging es um die angebliche Verwässerung des Schlieffenplans durch die Schwächung des rechten Flügels. Gegen Moltkes Risikominderung wurden Schlieffens angeblich auf dem Totenbett geäußerten letzten Worte ins Feld geführt: «Macht mir den rechten Flügel stark» (vgl. Görlitz,
Generalstab
, S. 145 ). Die zweite Kontroverse drehte sich mit den Arbeiten Ritters (
Schlieffenplan
;
Staatskunst und Kriegshandwerk
, Bd. 2 ) um die Frage, inwiefern die Pläne des Generalstabs Richtung und Rhythmus der Politik bestimmten. Offen blieb dabei, in welchem Maße sich Schlieffen mit Politik und Diplomatie (etwa in der Frage der belgischen Neutralität) abgestimmt hatte. In der dritten Kontroverse, die u.a. von Wallach und Aron bestritten wurde, ging es um die Frage des richtigen Clausewitz-Verständnisses durch Schlieffen und Moltke d.J. sowie die Gründe für die von ihnen vorgenommene Dogmatisierung der Offensive (die freilich bei allen kriegführenden Parteien zu beobachten ist). Insbesondere Aron schloss dabei an Überlegungen des deutschen Kriegshistorikers Hans Delbrück an, die dieser in seinem Buch
Die Strategie des Perikles
von 1890 entwickelt hatte. Da Delbrück Perikles’ defensive Strategie durch die nach seiner Auffassung ebenfalls defensive Strategie Friedrich des Großen erläuterte, löste er damals einen Strategiestreit aus, in dem einige Kritiker Delbrücks meinten, Friedrich von dem «Vorwurf der Defensive» freisprechen zu müssen. Nach Aron wurde diese Auseinandersetzung weniger um die historische Wahrheit als um die Frage geführt, ob Deutschland den nächsten Krieg offensiv oder defensiv führen solle (vgl. Raulff, «Politik als Passion», S. XIX ff.). Die vierte Kontroverse schließlich wurde von Terence Zuber mit der These eröffnet, es habe gar keinen Schlieffenplan gegeben, sondern die deutsche Seite sei von einem defensiven Ansatz ausgegangen, bei dem die Verteidigung freilich in Feindesland stattfinden sollte (Zuber,
Inventing the Schlieffen Plan
; ders.,
German War Planning
); an eine Vernichtung der französischen
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