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Der große Ölkrieg

Der große Ölkrieg

Titel: Der große Ölkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans J. Alpers
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in dieser satten Stadt verlangte es danach, den Himmel zu berühren. Niemand sehnte sich nach fast erreichbaren Dingen wie diesem grauen, nahen Himmel. Weil man ausgelastet war. Weil man am Tage schuftete, um die Freizeit im Slido zu verbringen, den Abend vor dem Holo und die Nacht im Sexisens. Weil der Konsum zufriedenstellte.
    Vielleicht aber – so dachte Winfried manchmal – war es umgekehrt, und sie flohen in den Konsum, weil die Sehnsucht längst gestorben war. Und er – er! – wäre die einzige Zelle in diesem selbstzufriedenen Hyperorganismus Stadt, die die Sehnsucht bewahrt hatte, sie pflegte und sie am Leben hielt für den Tag, an dem sie epidemisch ausbrechen würde. Sehnsucht über die Welt, und alles käme ins Lot!
    Winfried gefiel diese Überlegung, die beharrlich wiederkehrte. Natürlich war sie irrational, und natürlich verscheuchte er sie. Tagträume brachten nichts ein; man mußte handeln.
    Darum stand er an diesem gespiegelten, grauen Nachmittag in der Konsumzone und informierte die Menschen.
    Winfried schlug den Kragen hoch und rutschte tiefer in den Mantel. Schutz vor den Nebeltröpfchen, die ihn am Hals frösteln ließen. Schutz vor den Menschen, die ihn trotz seiner korrekten, in dieses Privilegiertenviertel passenden Kleidung ablehnten.
    Sie wollten seine Informationen nicht. Weder die Männer noch die wenigen Frauen – meist älter als dreißig –, die dieser Stadt geblieben waren. Natürlich waren auch Kinder selten, weil zu anstrengend. Und Mädchen waren ja eine Rarität.
    Die wenigen Menschen, die das verfielfältigte Blatt nahmen, überflogen den Titel und warfen es in den nächsten Abfallbehälter. Er konnte ihre Verständnislosigkeit und ihr Desinteresse geradezu riechen. Vielleicht hatte er an diesem Nachmittag hundert Zettel verteilt – in vier Stunden! Zwanzig, hoch geschätzt, waren davon gelesen worden. Dabei hatte er sich vor dem Ausgang des Hypermarktes postiert, dem zu dieser Tageszeit ein stetiger Menschen-Strom entquoll.
    Durch die Warmluftvorhänge schlug manchmal eine verlockende Duftwolke, deren Wirkung Winfried sich nur mit Mühe entziehen konnte. Es roch nach Lebkuchen, grüner Seife, Strahler 99, dem frischen Kunststoff der Gehäuse von Unterhaltungscomputern, nach der Holzimitation der Möbel in der elterlichen Wohnung, nach Leder und nach „Opium“, jenem erregenden Parfüm, das er in sein Sexisens programmiert hatte. Unwiderstehlich!
    Er wußte, daß er diese Gerüche nicht wirklich wahrnahm, sondern lediglich aus dem KSA-Spray herausdeutete, das in allen Warenhäusern versprüht wurde. Das Konsumspezifische Analeptikum weckte die Empfindung von Lieblingsgerüchen; man kaufte dann die entsprechenden Dinge aus Laune. Obwohl ihm das klar war, konnte er den Verlockungen nicht widerstehen.
    Obendrein war es drinnen behaglich warm, während er draußen vor der Tür bloß den grauen Himmel hatte. Einen Himmel, der in den obersten Geschossen der gläsernen Wohnblocks und Warenhäuser durch die Flüssigkristallscheiben kroch, dessen kühle Wolkenfinger die Häuser durchwucherten und alle Hochbauten einhüllten wie in jahrealtes Spinngewebe.
    Winfried bot seine Zettel an. Beidseits eilte der Strom vorbei, von dem hellen Portal ausgespien. Wortfetzen, flüchtige Berührungen, kalte Augen. Selten ein Lächeln. Selten einer – nach wie vor –, der das angebotene Papier nahm.
    Aber wenn auch nur einer von denen dort zur Kundgebung kam, war seine Arbeit nicht umsonst gewesen. Denn dann gab es einen, der bereit war zu fragen; dem die Antworten der Konsumgesellschaft nicht genügten; einen weiteren Verbündeten im Kampf gegen die Ölkaps.
    Aber das half alles nichts gegen kalte Füße. Winfried beäugte zweifelnd den Reststapel, den er auch in den nächsten vier Stunden nicht verteilen würde können.
    Er sondierte unauffällig die Umgebung, dann glitt er in den Menschenstrom und ließ sich mittreiben. An den nächsten Abfallbehälter verteilte er innerhalb von zwei Sekunden hundertsiebenunddreißig Propagandablätter.
    Eines behielt er zurück, als hätte er es selbst gerade von einem Kolporteur erhalten. Im Weitergehen starrte er es eine Sekunde lang an, scheinbar lesend, bevor er es zusammenknüllte und achtlos in die Manteltasche steckte.
    Sei übervorsichtig! Das hatte man ihm in der Organisation beigebracht. Natürlich waren die Zettelaktionen offiziell angemeldet. Jeder Verteiler aber, den die Polizei zur Ausweisleistung anhielt, war in der zentralen Datenbank

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