Der große Ölkrieg
aktenkundig (man hatte ein Auge auf potentielle Radikalinskis) – und das konnte sich Winfried nicht leisten, da dies seine Arbeit in der Gruppe gefährdet hätte.
So schlenderte er also durch die Konsumzone, betrachtete hier und dort eine Auslage, las Werbetexte, die in Balkenlettern auf elektrolumineszenten Fassaden tanzten:
SEI HIGH MIT BLUE WONDER!
EIN SUPERTRIP OHNE TURKEY.
BESSER ALS SCHNEE!
Oder die von Lasern im Multiplex auf Hauswände projiziert wurden:
„SLIDE DICH HAPPY MIT DER NEUEN BORA.
SEXISENS SERIENMÄSSIG!“
Das war das letzte! Jetzt konnte man bereits auf der Fahrt zur Arbeit climaxen. Als nächstes würde man Schreibtische mit eingebautem Sexisens produzieren. Kein Wunder bei dem Frauenmangel.
Und so ging es weiter, auf dem bereits eingefahrenen Weg, der den Westen unaufhaltsam vernichten würde.
Winfried vermochte nicht zu sagen, was die endgültige Zerstörung auslösen würde. Aber er spürte deutlich, daß es so kommen mußte. Es lag im Verhalten der Leute.
Winfried hatte sich in einen dunkleren Teil der Konsumzone treiben lassen.
Mitten auf der belebten Straße klaffte eine Insel.
Dies war eine Sado-Versammlung, die eine einschlägige Holographie konsumierte. Diesen Leuten ging man am besten aus dem Weg. In der Gruppe konnten Sados gefährlich werden.
Winfried drückte sich an der Seite vorbei. Da sah er das Mädchen. Sie war blond. Kontrastierend die bis zu den Knöcheln fallende schwarze Robe der Medrese. Mit dem Rücken stand sie zur Hauswand. Zwei der Lederbekleideten belästigten sie, so schloß Winfried aus den obszönen Gesten der Männer. Das Mädchen starrte ins Leere, als wären die beiden nicht vorhanden. Wenn sie Glück hat, dachte Winfried, verlieren sie das Interesse.
Hatte sie aber nicht. Der größere der beiden Sados griff nach ihrer Robe und riß sie am Verschluß auseinander. Die Passanten reagierten natürlich nicht. Privathändel waren privat. Und wenn es Verletzte gab, waren Polizei und Ambulanz zuständig.
Winfried zögerte. Die Sache ging ihn nichts an, aber Sados waren ihm grundsätzlich zuwider. Die ekelhafteste Blüte dieser Gesellschaft.
„Hey, Freunde“, sagte er, sich zwischen die beiden Sados drängend. „Police kommt. Die Dame ist ein Junkie.“
Die Ledermänner blickten verunsichert. Winfried stieß dem Größeren die Faust in den Magen und hob, als der Mann zusammenklappte, das Knie. Es tat höllisch weh.
Der andere würgte ihn von hinten. Ein Judogriff, in der Organisation gelernt, befreite ihn aus dieser Lage. Als auch der zweite am Boden lag, nahm Winfried das Mädchen rasch am Arm. Sie liefen weg. Niemand beachtete sie.
Nach wenigen hundert Metern hielten sie atemlos an. Standen einander gegenüber. Fanden keine Worte. Nicht einmal Fixpunkte für den Blick.
„Danke“, sagte das Mädchen. Das Wort verlor sich in der Dunkelheit. Winfried nickte.
„Ich bin kein Junkie“, fuhr sie fort. „Für uns ist Rauschgift sündhaft.“
„Selbstver. Du kein Junkie, ich kein Punkie“, entgegnete Winfried und ärgerte sich sogleich, daß er in den verblödeten Punk-Slang verfallen war, der ihm gar nicht lag.
Sie neigte den Kopf. Es war eine spontane Bewegung. Blondes Haar federte, als wäre ein Luftzug darübergeglitten.
„Du schießt?“ fragte sie.
Er verneinte. „Ich nehm’ nur Gras.“
„Keine Arbeit?“
„Ich …“ Wie sollte er einer Schülerin erklären, daß er mit Radikalen sympathisierte?
„Doch, verschiedenes“ wich er aus. „Heut’ spiel’ ich denen einen Zettel Verteiler. Horrorshow bei dem Wetter.“ Er fischte das zerknüllte Flugblatt aus der Tasche und glättete es umständlich.
Nun stand er da, das zerribbelte Papier in der Hand – verdammt, warum hatte er das Ding bloß aus der Tasche genommen?
Sie schielte neugierig nach dem Pamphlet, griff zögernd danach und hielt es ans Licht.
„Nieder mit den Ölkaps! Alle kommen zur Superdemo. 8. Dezember. Resselpark“, las sie. „Du auch?“ Dies zu ihm, der heilfroh war, daß sie ihm das mickrige Flugblatt abgenommen hatte.
„Nuuun …“ Schulterzucken. Natürlich würde er kommen. Aber das hätte sie nicht verstanden. Sie nicht. Und natürlich war es gleichgültig, ob sie ihn verstand oder nicht. Eine Medresin war tabu. Warum sollte er es also nicht zugeben?
Gerade als er dazu ansetzte, sah sie auf die Uhr. „Allah! Ich bin seit fünf Minuten im Exerzitium! Servus!“ Drehte sich um und ließ ihn stehen.
„Ich – – sieht man
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