Der große Ölkrieg
kannte, anders. Freier, fröhlicher fühlte er sich, und er hätte wohl seine Freundin geheiratet und wäre ein braver Bourgo geworden, wenn sie keine Koranschülerin gewesen wäre. Da sie jedoch die Medrese besuchte, kam es anders …
Der Winter verging. Winfried verharrte in seinem politischen Niemandsland. Er mied nach Möglichkeit seine Kameraden von der Plattform liberaler Anarchisten, der PLA, und wenn er einmal einem auf einer Grasfete begegnete, war er distanziert. Und doch konnte er sich nicht entschließen, mit der Gruppe zu brechen. Auch lange Gespräche mit Nadjeh überzeugten ihn nicht restlos davon, daß die gegebene Gesellschaftsordnung akzeptabel war.
Natürlich hatten die Ölkaps viel für die westliche Wirtschaft getan – sie gehörte ihnen ja, nachdem sie Firmen und Konzerne mit Geduld und politischem Geschick aufgekauft hatten. Sie waren großzügige Arbeitgeber. Den Industrienationen ging es allemal besser als zur Zeit der Ölkrisen in den Siebzigern und Achtzigern. Auch die Entwicklungsländer hatten davon profitiert, da die Ölstaaten an ihnen vitaler interessiert waren als seinerzeit die EG oder die USA. Zu guter Letzt waren die Westmächte und die Golfstaaten durch die wirtschaftliche Verflechtung auch politisch erstarkt. Seit sich die freien Kapitalmächte in der CATO, der Capital Alliance Treaty Organisation, konsolidiert hatten, wagte der Ostblock keine Provokation mehr.
Was also war schlecht am System?
Je näher der Frühling kam, desto klarer sah Winfried seine persönliche Antwort auf diese Frage: Schlecht waren jedenfalls die Koran-Schulen.
Denn Nadjeh-Maria zog sich merklich zurück. Sie hatte nicht mehr wie früher täglich Zeit für ihn. Wenn sie einander jedoch hin und wieder sahen, konnte es vorkommen, daß sie minutenlang wie geistesabwesend war.
Sie ließ es auch nicht mehr zu, daß er sie küßte – mit dem Hinweis, sie müsse sich auf die Klausur vorbereiten. Dies sei eine schwere persönliche Prüfung, letztlich hinge davon die Entscheidung ab, ob sie konvertieren würde, und für diese größte Entscheidung ihres Lebens sei allein ihr Glaube maßgebend. Sie bat ihn also um Verständnis für ihr abweisendes Verhalten. Möglicherweise, so erklärte sie auf sein diesbezügliches Drängen, würde sie in der Klausur erkennen, daß sie für die Konversion nicht geeignet sei, und alles würde wieder so sein wie früher.
Winfried klammerte sich an diese Hoffnung. Er hatte zwar von Beginn an gewußt, daß er bei einer Koranschülerin so gut wie keine Chance hatte. Dann aber war alles so wunderbar gekommen, und das lag vielleicht auch daran, daß er nie zuvor so verliebt gewesen war.
Zwar hatte er nicht mit ihr geschlafen, und Petting hatte sie selbstverständlich auch abgelehnt – aber in Gedanken verbrachte er jede Nacht mit ihr, ständig auf der Suche nach einer persona , auf daß Nadjeh-Maria im Sexisens Leben annehmen möchte.
Im März ging sie in die Klausur. Jeden Tag stand Winfried vor der Moschee am Karlsplatz und starrte zu jenem Trakt empor, der auf die Karlskirche zulief. Hinter diesen Mauern wußte er sie. Er verfluchte die Koranschulen und das Abkommen von Riad und machte es letztlich für sein ganzes Elend verantwortlich. Er verfluchte die PLA und ihre politischen Agitatoren, die sich in großen Worten gefielen, aber in Wirklichkeit nichts gegen das System unternahmen.
Winfried erhöhte seinen Haschischkonsum, dann nahm er auch härtere Drogen. Nach „Straight Flush“ wurde ihm schlecht, und „Blue Wonder“, ein Heroinersatz, der angeblich keinen Entzug hervorrief, turnte ihn zwar an, verursachte aber danach Magenkrämpfe und Atemnot.
In den klaren Momenten zwischen Turnen und Turkey träumte er von ihr. In seiner Phantasie gewann sie Gestalt, und er empfand sie intensiver als je zuvor. Spürte wieder, wie sie aus ihren Augen schlüpfte und sich’s auf ihrer Schulter bequem machte. Von dort lachte sie, mit den Beinen baumelnd, herunter, weil ihr die Welt Spaß bereitete. Ihre Welt: Das war sie selbst inmitten nützlicher Dinge, die sie mit einem Fingerschnippen belebte – zum Beispiel eine Zigarette, deren Atem zu ihrem ward (wie sie den Rauch durch die Nase hochzog, um auch die letzten Nervenenden zu kitzeln, mit einer Prise Nonchalance und einem Anflug von Exzeß, das allein war schon eines der unverkennbaren Elemente, welche sie ausmachten) –, oder was auch immer; alles um sie herum war ein amöbisches Scheinfüßchen, das sie nach Laune
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