Der große Ölkrieg
Plüschvorhang blieb geöffnet, nachdem er einige Male flatterte.
„Bin okay“, sagte er, mehr, um sich selbst zu überzeugen.
„Dein Arm sieht böse aus. Ich bring’ dich zum Kopter.“ Der landete gerade am Kirchplatz, und das hätte ihm noch gefehlt, daß die Police nach dieser Schlägerei seine Personalien nahm.
„Ich … ich kann nicht. Ist auch nur ein Kratzer“, wehrte er ab. Die Menge zerstreute sich, und die Wachmannschaft, die bisher vor der Moschee abgewartet hatte, kam nun über den Platz. Winfried lehnte sich an die Moore-Plastik, sondierte das Terrain. Vor ihm die Tribüne und die zusammengeschlagenen Bourgos. Seine Kameraden hatten sich natürlich längst verflüchtigt. Schufte, die! Links die Ambulanz, rechts die Polizisten. Nur hinter ihm, der Eingang zur U-Bahn, war frei. Er mußte es versuchen.
„Meine U-Bahn fährt gleich“, erklärte er und schickte sich an, mehr stolpernd als gehend, möglichst weit weg von dem verdächtigen himbeerroten Fleck zu kommen, den sein verletzter Arm im Schnee verursacht hatte.
„Allah, ist der Mensch stur“, zischte sie böse, und er spürte einen überraschend festen Griff unter seiner rechten Achsel. Mit ihrer Hilfe kam er gut voran, und da ihr weites Cape seine Wunde verdeckte, erreichten sie ungeschoren die Rolltreppe. Daß die Leute die Hälse nach ihnen reckten, lag lediglich daran, daß Winfried von einem Mädchen begleitet wurde.
Als sie sicher im Zug saßen, mußte er sie immerfort betrachten. Was war das für ein Mädchen, das zu einer politischen Kampfrede kam? Noch dazu als Elevin einer Medrese!
„Du wußtest gestern schon, daß ich in der Organisation arbeite“, erkannte er.
Sie mied seinen Blick, nickte nur.
„Warum bist du gekommen?“
„Ich wollte dir danken – für gestern.“
„Das hast du“, bestätigte er. „Mehr als du ahnst.“
Den Rest der Fahrt verbrachten sie schweigend. Auch als sie ausstiegen, dann den kurzen Weg zu Fuß nahmen, schließlich vor seiner Wohnung standen, eintraten und die schmutzigen Mäntel ablegten, bedurfte es keines Wortes.
Erschöpft setzte er sich zum Tisch, bedeutete ihr, wo der Erste-Hilfe-Kasten zu finden war, und ließ seine Wunde säubern und mit Hautsurrogat verschließen.
Als sie ihn versorgt hatte und beide einander gegenübersaßen an dem schmalen Tischchen, darauf der Verbandkasten und sein Glas Tranquillizer-Whisky – sie hatte aus religiösen Gründen den angebotenen Alkohol abgelehnt –, fand Winfried seinen Normalzustand wieder.
Er betrachtete sie, und er stellte fest, daß ihm Blond gefiel, obwohl er für dunkle Frauen schwärmte; daß ihre hellen Augen schön waren, obwohl er glutäugige Spanierinnen bevorzugte; daß ihn ihre schlanken Hände, die wie junge Katzen auf der Tischplatte ruhten, aufregten, obwohl sie weder Ringe trug noch Lack auf den Nägeln. Behutsam streckte er seinen gesunden Arm aus. Als hätte dieser einen eigenen Willen, glitt er über den Tisch, und einen Augenblick lang berührten sich ihre Fingerspitzen.
„Danke für die Hilfe“, sagte er dabei, und sie nickte und ließ es geschehen.
Warum hast du es getan, wollte er weiterfragen, aber ihre Antwort kannte er bereits.
Sehen wir uns wieder, wollte er fragen, aber das war zu plump.
Was bist du für ein sonderbares Mädchen, hätte er gern gewußt, aber das paßte jetzt nicht.
Schließlich entschied er sich für: „Wie heißt du?“ Und das paßte. Halbwegs.
Sie hieß Nadjeh-Maria.
In den nächsten Wochen erfuhr er noch, daß sie neunzehn war, somit dem ältesten Ausbildungsjahrgang an der Medrese angehörte, daß sie gerne und hervorragend kochte, sich an Horror-Geschichten begeisterte, den Kampf als männliche Tugend betrachtete, über Araber-Witze herzlich lachen konnte (!) und in puncto Religion keinen Spaß verstand. Und unzählige Kleinigkeiten mehr.
Winfried begann, sein Studium zu vernachlässigen. Dafür las er viel, dachte über die Ausbeutung des Westens nach (und ob überhaupt eine vorlag) und sah zu, daß die geschwächte Rechte bald wieder zu Kräften kam.
Abends blieb er den geheimen Treffen der Organisation fern, die er früher eifrig besucht hatte. Statt dessen traf er Nadjeh-Maria. Und nachts saß er mit heißen Ohren vor dem Sexisens und programmierte stundenlang Gesicht, Bewegungen, Kleidung, Stimmlage, Parfüm, nur um jedesmal erschöpft danach festzustellen, daß die Liebesmaschine sie nicht im entferntesten wiedergab.
Kurz: Winfrieds Leben verlief, seit er Nadjeh
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