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Der große Ölkrieg

Der große Ölkrieg

Titel: Der große Ölkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans J. Alpers
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ausstülpte und wie ein Organ gebrauchte.
    Immer schlüpfte sie aus ihren Augen wie durch eine neu entdeckte Öffnung eines Verlieses. Es gefiel ihr nicht dort drinnen, wo sie ihrer Möglichkeiten beraubt war. Sie wollte ja die Welt. Brauchte sie und wollte sie gebrauchen. Oh, wie sie es haßte, eingesperrt zu sein. Wie sie darunter litt, wenn sie drinnenbleiben mußte in ihrem Schädel, und wie sie dann ihr Leid offenlegte, daß es für ihn sichtbar war wie eine blutende Wunde. Für ihn sichtbar, nicht aber für die anderen, denen es alltäglich (geworden) war, eingekeilt zu sein zwischen den Schläfen. Für ihn sichtbar, weil er es liebte, wie sie aus ihren Augen hervorkam – geradezu gierig war er nach dieser Exhibition. Wie er es mochte, wenn sie wie die Morgensonne kam und von Dingen erzählte, die sie berührten. Von allem sprach sie wie ein Gebirgsbach von der eigenen Bewegung, vom Stürzen, Gleiten, Wirbeln seiner Wasser …
    Wenn diese Imagination dann verblaßte, konnte Winfried nicht glauben, daß Nadjeh-Maria je konvertieren würde. Zugleich fürchtete er es, und er floh in den nächsten Rausch.
    Er hätte sich wahrscheinlich zerstört, wenn ihm nicht ein Brief von Nadjeh-Maria die nagende Ungewißheit genommen hätte:
     
    “Lieber Winfried,
     
    Du hast mir die Entscheidung schwergemacht. Bevor Du in mein Leben getreten bist, lag mein Weg deutlich und ohne Zweifel vor mir. Ich war entschlossen zu konvertieren, mein Leben dem dreifachen K zu widmen – Kunst, Kinder und Koran – und im übrigen meinem zukünftigen Gemahl, dem mich Allah zuführen würde, zu gehorchen. Selbst die schwere Aufgabe, meinen Mann mit seinen anderen Ehefrauen zu teilen, hätte ich auf mich genommen.
    Und dann kamst Du wie der Wind und hast mein ethisches Gebäude ins Wanken gebracht. Ich habe mir manchmal überlegt, wie es wäre, wenn ich Dich mit einer anderen Frau teilen müßte, und fand den Gedanken unerträglich. Wie sollte es mir dann möglich sein, meinen Ehemann mit dreißig oder vierzig Gefährtinnen zugleich zu haben?
    Und wie sollte ich Dich verlassen, wo wir einander so zugetan waren? Lieber Winfried, du kannst mir glauben, daß ich viele Nächte wach gelegen habe. Es gab lange Gespräche mit dem Muderri Ibrahim, was in diesem meinem schweren Zweifel zu tun sei. Durch ihn hat mir Allah in seiner Weisheit einen Wink gegeben. Der Muderri sagte nämlich: ‚So wie du mit den zeremoniellen Waschungen den Schmutz ablegst, der dem Hause Allahs nicht würdig ist; so wie du, wenn du konvertierst, mit dem Namen Maria auch die Reste der westlichen Erziehung ablegst, die eines Muslim nicht würdig sind; so legst du auch Zweifel und Begierden ab, die deines zukünftigen Gebieters nicht würdig sind.’
    Und da wußte ich, daß ich die Kraft haben würde zu vergessen. Ich werde, wenn ich konvertiere, meinen christlichen Namen zurücklegen und mit ihm meine Erinnerungen. In zwei Monaten ist es wahrscheinlich soweit.
    Du mußt wissen, daß mir nie zuvor ein Entschluß so schwer war wie dieser. Leb wohl, mein Liebster.
     
    Nadjeh.
     
    P. S.: Allah wird Verständnis haben, wenn ich ab und zu doch an Dich denke.“
     
    In dieser Nacht zertrümmerte Winfried sein Sexisens.
     
4
     
    Eine träge Dünung rollte gegen die Küste. Dazwischen quirlten winzige Wellen und holten die Sonne, die westlich in halber Höhe stand, aufs Wasser herunter, und das Rote Meer funkelte, als lebe es. Darüber lag ein heißer, trockener Himmel, der das Meer und die Wüste und die Stadt umfing. Von oben sah New Mekka aus wie ein Architektenmodell. Quader und Pyramiden wechselten einander ab, säumten Grünflächen und künstliche Seen, erklommen Terrassen oder duckten sich hier und dort vor schlanken Türmen, die Hunderte von Metern in den Himmel wuchsen. Die höchste dieser Säulen, mit einem Basisdurchmesser von etwa fünfzig Metern, stach eintausendvierhundert Meter hoch in den Himmel, und wenn der Muezzin von diesem Turme zum Gebet rief, war es wie die Stimme Allahs selbst.
    Am Fuße dieses gewaltigsten Minaretts der Erde thronte die Moschee des Propheten. Im Zentrum der neuen Stadt, auf einer Fläche von etwa hundert Fußballstadien, breitete sie sich aus, selbst das Zentrum, ja selbst eine Stadt für sich. Die Krönung des religiösen Fanatismus, in den sich die arabische Welt aus Abscheu vor westlichem Laster gesteigert hatte.
    Etage auf Etage wuchs der mächtige Quader empor, hier und dort kragten freitragende Wohngeschoße aus, deren

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