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Der große Schlaf

Der große Schlaf

Titel: Der große Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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letzten Schnaufer. Es war saubere Arbeit. Sie gefiel mir. Sie gefiel auch Canino sehr gut.
    Ich hörte ihn lachen. Es war ein breites, dröhnendes Lachen, gar nicht so wie das Schnurren seiner Sprechstimme.
    Dann eine kleine Weile lang Schweigen, nur der Regen und der ruhig klopfende Motor des Wagens. Dann ging langsam die Haustür auf, eine noch tiefere Schwärze in der schwarzen Nacht. Vorsichtig tauchte in ihr eine Gestalt auf, etwas Weißes um den Hals. Es war ihr Kragen. Sie trat steif heraus auf die Veranda, eine Frau aus Holz. Ich sah den bleichen Schimmer ihrer silbernen Perücke. Canino kam in bester Deckung hinter ihr her. Es war so gefährlich, daß es fast schon wieder komisch war. Sie kam die Stufen herunter. Jetzt konnte ich das gespannte Weiß ihres Gesichts sehen. Sie ging auf den Wagen zu. Ein Schutzwall für Canino, für den Fall, daß ich ihm noch immer ins Auge spucken konnte.
    Ihre Stimme sprach durch das Lispeln des Regens, sie sagte langsam und ohne Ausdruck: »Ich kann überhaupt nichts sehen, Lash. Die Fenster sind beschlagen.«
    Er grunzte irgend etwas, und der Körper des Mädchens machte einen Ruck, als ob ihm eine Kanone in den Rücken gestoßen worden wäre. Sie ging wieder weiter und näherte sich dem lichtlosen Wagen. Jetzt konnte ich ihn hinter ihr erkennen, seinen Hut, eine Seite seines Gesichts, die Ausbuchtung seiner Schulter. Das Mädchen stand plötzlich starr und schrie. Ein schöner, dünner, durchdringender Schrei, der mich umwarf wie ein linker Haken.
    »Ich kann ihn sehen!« schrie sie. »Durchs Fenster. Hinter dem Steuer, Lash!«
    Er fiel darauf herein wie ein Eimer voll Blei. Er stieß sie roh beiseite und sprang vorwärts mit hochgeworfener Hand. Drei weitere Blitze schnitten durch die Dunkelheit. Wieder klirrte Glas. Eine Kugel ging glatt durch und schlug in einen Baum auf meiner Seite. Ein Abpraller pfiff ab in die Ferne. Aber der Motor lief ruhig weiter.
    Er war tief unten, gegen die Finsternis geduckt, sein Gesicht ein Grau ohne Form, das nach dem Aufstrahlen der Schüsse langsam zurückzukehren schien. Wenn das, was er hatte, ein Revolver war, so konnte er leer sein. Er hatte sechsmal gefeuert, aber er konnte auch im Haus nachgeladen haben.
    Hoffentlich hatte er. Ich wollte ihn nicht mit einer leeren Kanone. Aber vielleicht war es auch eine Automatic.
    Ich sagte: »Fertig?«
    Er wirbelte zu mir herum. Vielleicht hätte ich ihm netterweise, genau wie ein Gentleman der alten Schule, Gelegenheit zu einem Schuß oder zweien geben sollen. Aber seine Kanone zeigte nach oben, und ich konnte nicht länger warten. Nicht lange genug, um ein Gentleman der alten Schule zu sein. Ich schoß viermal auf ihn, den Colt gegen meine Rippen gepreßt. Die Waffe sprang ihm aus der Hand, als hätte sie ihm jemand weggerissen. Er griff mit beiden Händen nach seinem Magen. Ich hörte sie hart gegen seinen Leib schlagen.
    Er fiel einfach um, direkt nach vorn, seine breiten Hände hielten ihn zusammen. Sein Gesicht schlug in den nassen Kies.
    Dann gab er keinen Laut mehr von sich.
    Auch Silberperückchen gab keinen Laut. Sie stand starr, mitten im wirbelnden Regen. Ich ging um Canino herum und stieß seine Kanone weg, völlig sinnlos. Dann ging ich hin und bückte mich seitwärts und hob sie auf. Damit stand ich dicht neben ihr.
    Sie sprach mutlos, so als rede sie mit sich selbst. »Ich ... ich hatte Angst, Sie würden zurückkommen.«
    Ich sagte: »Wir hatten eine Verabredung. Ich habe Ihnen doch gesagt, es war alles arrangiert.«
    Ich fing an zu lachen wie ein Blödian.
    Dann beugte sie sich über ihn, berührte ihn. Und nach einer kleinen Weile stand sie auf, mit einem kleinen Schlüssel an einem dünnen Kettchen.
    Sie sagte bitter: »Mußten Sie ihn umbringen?«
    Ich hörte ebenso plötzlich zu lachen auf, wie ich damit angefangen hatte. Sie trat hinter mich und schloß die Handschellen auf.
    »Ja«, sagte sie weich. »Ich glaube, Sie mußten es tun.«

30
    Dies war ein neuer Tag, und die Sonne schien wieder.
    Captain Gregory vom Vermißtendezernat blickte brütend aus dem Fenster seines Büros auf das vergitterte Obergeschoß des Justizpalastes, das der Regen weiß und rein gewaschen hatte.
    Dann schwenkte er sich schwerfällig in seinem Drehsessel herum und stopfte mit einem feuerfesten Daumen seine Pfeife und starrte mich düster an.
    »Sie sitzen also wieder mal in der Patsche.«
    »Ach, Sie haben davon gehört?«
    »Bruder, ich mag ja hier den ganzen Tag auf meinen vier Buchstaben

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