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Der große Schlaf

Der große Schlaf

Titel: Der große Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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nicht tun, nicht wahr, Silberperückchen? Er hat noch nie jemanden umgebracht. Er kauft sich die, die das tun.«
    »Verschwinden Sie«, sagte sie rauh. »Verschwinden Sie von hier, schnell.«
    Ihre Hand, noch erhoben, krampfte sich um das grüne Feuerzeug. Die Finger waren angespannt. Die Knöchel waren weiß wie Schnee.
    »Aber Canino weiß nicht, daß ich das weiß«, sagte ich. »Das von dem kleinen Vogel. Er weiß nur, daß ich umherschnüffle.«
    Da lachte sie. Es war ein fast peinigendes Lachen. Es schüttelte sie, wie der Wind einen Baum schüttelt. Ich hörte eine Art Verwirrung heraus, nicht direkt Überraschung, aber so etwas wie eine neue Idee, die zu dem hinzukam, was sie schon wußte, und die nicht dazu passen wollte. Dann sagte ich mir aber, daß man so viel aus einem Lachen gar nicht heraushören konnte. »Es ist zu komisch«, sagte sie atemlos. »Zu komisch, denn, sehen Sie – ich liebe ihn noch immer. Frauen ...« Sie fing wieder an zu lachen.
    Ich lauschte gespannt, mit pochenden Schläfen. »Wir wollen gehen«, sagte ich. »Schnell.«
    Sie machte zwei Schritte rückwärts, und ihr Gesicht wurde hart. »Verschwinden Sie! Verschwinden Sie! Sie können bis Realito zu Fuß gehen. Sie können es schaffen ... Und Sie können den Mund halten – wenigstens für eine Stunde oder zwei. Soviel sind Sie mir schuldig.«
    »Gehen wir«, sagte ich. »Haben Sie eine Kanone,
    Silberperückchen?«
    »Sie wissen, daß ich nicht mitkomme. Sie wissen das. Bitte, bitte, gehen Sie fort von hier, schnell.«
    Ich trat dicht an sie heran, so daß ich mich fast an sie preßte.
    »Sie wollen wirklich hierbleiben, nachdem Sie mich haben laufenlassen? Warten, bis dieser Killer zurückkommt, damit Sie ihm sagen können: Tut mir leid! Einem Mann, der mordet, als ob er eine Fliege zerquetscht? Nichts zu wollen. Sie kommen mit mir, Silberperückchen.«
    »Nein.«
    »Angenommen«, sagte ich, »Ihr feiner Mann hat Regan umgebracht. Oder angenommen, Canino warś, ohne daß Eddie es wußte. Wann sind dann Sie wohl dran, nachdem Sie mich laufenlassen haben?«
    »Ich habe keine Angst vor Canino. Ich bin immer noch die Frau seines Chefs.«
    »Eddie ist ein Häufchen Brei«, höhnte ich. »Canino könnte ihn mit dem Teelöffel zu sich nehmen. Der macht ihn fertig wie die Katze den Kanarienvogel. Ein Häufchen Brei. Wenn ein Mädchen wie Sie auf so einen falschen Fuffziger reinfällt, dann doch nur, weil er ein Häufchen Brei ist.«
    »Hinaus!« spuckte sie.
    »Okay.« Ich wandte mich von ihr ab und trat durch die halboffene Tür hinaus in den dunklen Flur. Sie rannte mir nach und an mir vorbei zur Haustür und machte sie auf. Sie linste in die nasse Schwärze und lauschte. Sie winkte mich heran.
    »Adieu«, sagte sie verhalten. »Viel Glück für alles – außer einem. Eddie hat Rusty Regan nicht umgebracht. Sie werden ihn irgendwo finden, gesund und munter, sobald er gefunden werden will.«
    Ich lehnte mich an sie und preßte sie mit meinem Körper gegen die Wand. Ich berührte mit meinem Mund ihr Gesicht.
    So sprach ich zu ihr: »Nur nicht so eilig. All dies hier war vorher arrangiert, geprobt bis ins kleinste Detail, bis in Sekundenbruchteile durchgeplant. Genau wie ein
    Rundfunkprogramm. Bloß keine Eile. Küß mich,
    Silberperückchen.«
    Ihr Gesicht unter meinem Mund war kalt wie Eis. Sie hob beide Hände und umfaßte meinen Kopf und küßte mich heftig auf die Lippen. Auch ihre Lippen waren wie Eis. Ich trat zur Tür hinaus, und sie schloß sich hinter mir, geräuschlos, und der Regen schlug herein auf die Veranda, und er war nicht so kalt wie ihre Lippen.

29
    Die Garage nebenan war dunkel. Ich überquerte den Kiesweg und ein Stück nassen Rasen. Die Straße war von unzähligen kleinen Bächen überschwemmt. Das Wasser gurgelte in einem Graben auf der anderen Seite. Ich hatte keinen Hut. Der mußte mir in der Garage heruntergefallen sein.
    Canino hatte sich nicht die Mühe gemacht, ihn mir zurückzugeben. Er hatte wohl nicht gedacht, daß ich ihn noch brauchen würde. Ich stellte mir vor, wie er flott durch den Regen zurückfuhr, allein, nachdem er den hageren und mürrischen Art und die vermutlich gestohlene Limousine an einen sicheren Ort gebracht hatte. Sie liebte Eddie Mars und hielt sich versteckt, um ihn zu schützen. Wenn Canino zurückkam, würde er sie dort vorfinden, ruhig neben der Lampe und dem unberührten Glas sitzend, während ich festgebunden auf der Chaiselongue lag. Er würde ihre Sachen hinaus in den Wagen

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