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Der große Schlaf

Der große Schlaf

Titel: Der große Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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bringen und im ganzen Haus aufmerksam nachsehen, ob auch nichts Belastendes zurückgeblieben war.
    Er würde ihr sagen, sie solle hinausgehen und warten. Sie würde keinen einzigen Schuß hören. Ein Totschläger auf kurze Entfernung ist genauso wirksam. Er würde ihr sagen, er habe mich gefesselt zurückgelassen und ich würde nach einer Weile schon loskommen. Für so dämlich würde er sie halten. Der nette Mr. Canino.
    Mein Regenmantel war offen, und ich konnte ihn nicht zuknöpfen, da ich Handschellen trug. Die Säume klatschten mir gegen die Beine wie die Flügel eines großen, müden Vogels.
    Ich kam zur Autostraße. In breiten Wasserwirbeln, von Scheinwerferlicht beleuchtet, fuhren Wagen vorbei. Das Geräusch ihrer Reifen erstarb rasch. Ich fand mein Kabrio, wo ich es zurückgelassen hatte, beide Reifen repariert und montiert, damit es, wenn nötig, weggefahren werden konnte. Sie dachten einfach an alles. Ich stieg ein und beugte mich seitwärts unters Rad und fummelte die Lederklappe beiseite, die das Fach verdeckte. Ich nahm die andere Pistole, stopfte sie mir in den Rock und machte mich auf den Rückweg. Die Welt war klein, eingeschlossen, schwarz. Eine Privatwelt für Canino und mich.
    Auf halbem Weg hätten mich die Scheinwerfer fast erwischt.
    Sie schwenkten jählings von der Autostraße herüber, und ich rutschte die Böschung hinunter m den nassen Graben und plumpste hin und atmete Wasser. Der Wagen brauste vorbei, ohne zu verlangsamen. Ich hob den Kopf und hörte das Knirschen seiner Reifen, als er die Straße verließ und auf den Kiesweg einbog. Der Motor erstarb, die Lichter erloschen, eine Tür schlug zu. Ich hörte nicht, wie die Haustür zuging, aber eine Spur Licht rieselte durch die Baumgruppe, als ob eine Gardine an einem Fenster beiseite geschoben oder das Licht in der Halle angemacht worden wäre.
    Ich kam zurück zu dem feuchten Grasstück und patschte dar
    über weg. Der Wagen stand zwischen mir und dem Haus, die Pistole hielt ich unten an der Seite, nach vorn gerichtet, soweit es mein linker Arm nur schaffte, ohne dabei aus dem Gelenk zu springen. Der Wagen war dunkel, leer, warm. Im Kühler kochte gemütlich das Wasser. Ich sah zur Tür hinein. Der Schlüssel steckte. Canino war seiner Sache sehr sicher. Ich ging um den Wagen herum und lief vorsichtig über den Kies zum Fenster und lauschte. Ich konnte keine Stimmen hören, keinen Laut außer dem schnellen Tapp-tapp der Regentropfen, die gegen die Metallstützen der Dachrinne schlugen.
    Ich horchte weiter. Keine lauten Stimmen, alles ruhig und auf die feine Tour. Er schnurrte sie sicherlich an, und sie erzählte ihm, daß sie mich hatte laufenlassen und daß ich versprochen hätte, sie nicht weiter zu behelligen. Er würde mir nicht trauen, so wie ich ihm nicht traute. Also würde er nicht lange dort drin bleiben. Er würde sich auf die Socken machen und sie mitnehmen. Ich brauchte nur darauf zu warten, daß er herauskam.
    Aber das brachte ich nicht fertig. Ich wechselte die Pistole in meine linke Hand und bückte mich nieder, um mir eine Handvoll Kies zu grapschen. Ich warf sie gegen die Fensterbrüstung.
    Es war ein schwacher Versuch. Nur ein paar Steinchen erreichten das Glas über der Brüstung, aber mir klang das leise Klirren, als ob ein Deich berste.
    Ich rannte zurück zum Wagen und drum herum und stellte mich aufs Trittbrett. Das Haus war schon dunkel. Das war alles. Ich ließ mich ruhig auf dem Trittbrett nieder und wartete.
    Keine Schau. Canino war zu gewieft. Ich richtete mich auf und stieg rückwärts in den Wagen, tastete nach dem Zündschlüssel und drehte ihn um. Ich suchte mit meinem Fuß, aber der Startknopf mußte am Armaturenbrett sein. Ich fand ihn schließlich, zog ihn, und der Starter gab Laut. Der warme Motor sprang sofort an. Er schnurrte leise und zufrieden. Ich stieg wieder aus dem Wagen und kauerte mich bei den Hinterrädern nieder.
    Ich zitterte jetzt, aber ich wußte, daß Canino diesen letzten Knalleffekt gar nicht schätzte. Er brauchte diesen Wagen dringend. Ein dunkles Fenster glitt Zoll um Zoll herab, nur ein schwacher Wechsel des Lichts auf dem Glas zeigte, daß es sich bewegte. Jäh spuckten Blitze heraus, das vermengte Dröhnen dreier Schüsse. Glas splitterte in den Sportwagen. Ich schrie auf wie in tödlichem Schmerz. Der Schrei ging über in ein klagendes Ächzen. Das Ächzen wurde zu einem feuchten Gurgeln, das in Blut erstickte. Ich ließ das Gurgeln in einem widerlichen Würgen ersterben, einem

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