Der große Schlaf
tröpfeln. Eine Wasserpfütze vor meinem Sitz diente mir als Fußbad. Es war noch zu früh im Herbst für so einen Regen. Ich kämpfte mich in meinen Trenchcoat und sprintete zum nächsten Drugstore und holte mir eine halbe Buddel Whisky. Zurück im Wagen konsumierte ich genug, um mich warm und bei Laune zu halten. Ich parkte schon lang über die Zeit, aber die Bullen waren zu sehr mit den Mädchen und mit ihren Trillerpfeifen beschäftigt, um sich darum zu kümmern.
Trotz des Regens, oder vielleicht gerade deshalb, war bei Geiger allerhand los. Vorm Laden hielten sehr schicke Wagen, und sehr schicke Leute gingen mit Päckchen ein und aus. Es waren nicht nur Männer.
Gegen vier Uhr tauchte er auf. Ein cremefarbener Sportwagen stoppte vorm Geschäft, und ich bekam einen flüchtigen Eindruck von dem fetten Gesicht und dem Charlie-Chan-Bärtchen, als er heraussprang und im Laden verschwand.
Er war ohne Hut und trug einen grünledernen Regenmantel mit Gürtel. Sein Glasauge konnte ich aus der Entfernung nicht sehen. Ein großer und sehr gut aussehender Junge in Weste kam aus dem Laden und fuhr den Sportwagen um die Ecke und kam zu Fuß zurück. Sein glänzendes schwarzes Haar war klatschnaß vom Regen. Eine weitere Stunde verging. Es wurde dunkel, und die regentrüben Lichter spiegelten sich auf der schwarzen Straße. Straßenbahnwagen klingelten
durcheinander. Gegen fünf Uhr fünfzehn kam der große Junge mit der Weste mit einem Regenschirm aus Geigers Geschäft und holte den cremefarbenen Sportwagen. Als er damit vorfuhr, kam Geiger heraus, und der große Junge hielt ihm den Regenschirm über den bloßen Kopf. Er klappte ihn zu, schüttelte ihn ab und reichte ihn in den Wagen. Er sprang zurück in den Laden. Ich startete meinen Motor. Der Sportwagen fuhr westwärts auf dem Boulevard, so daß ich links abbiegen und mir einen Haufen Feinde machen mußte, darunter einen Straßenbahnfahrer, der seinen Kopf in den Regen streckte, um mich anzubelfern. Ich war zwei Blocks hinter dem Sportwagen, bevor ich in seine Fahrspur gelangte. Ich konnte nur hoffen, daß Geiger nach Hause fuhr. Ich hatte ihn zwei- oder dreimal im Blickfeld und machte ihn dann aus, als er nördlich in den Laurel Canyon Drive einbog. Auf halber Steigung bog er nach links in den kurvigen Streifen nassen Asphalts, der Laverne Terrace hieß. Es war eine schmale Straße mit einer hohen Böschung auf der einen Seite und vereinzelten Wochenendhäuschen auf der anderen. Sie waren so gebaut, daß ihre Dächer nicht sehr weit über das Straßenniveau hinausragten. Ihre Vorderfenster lagen hinter Hecken und Sträuchern versteckt. Von regennassen Bäumen triefte es übers ganze Gelände.
Geiger hatte seine Scheinwerfer an, ich nicht. Ich beschleunigte und überholte ihn in einer Kurve, merkte mir im Vorbeifahren eine Hausnummer und wendete am Ende des Wohnviertels. Er hatte schon angehalten. Seine Scheinwerfer strahlten scharf hinab auf die Garage eines kleinen Hauses mit einer geschnittenen Buchsbaumhecke, die so angelegt war, daß sie die Haustür völlig verbarg. Ich beobachtete ihn, wie er unter seinem Regenschirm aus der Garage kam und durch die Hecke zum Haus ging.
Er benahm sich nicht so, als ob er sich beschattet fühlte. Im Haus ging Licht an. Ich rollte abwärts zum Nachbarhaus dar
über, das leer schien, aber kein Verkaufsschild draußen hatte.
Ich parkte, lüftete das Kabrio aus, nahm einen Schluck aus der Pulle und saß da. Ich wußte nicht, was ich hier wollte, aber etwas sagte mir: Warte. Eine weitere Legion träger Minuten zog vorbei.
Zwei Wagen kamen den Berg herauf und fuhren über den Kamm. Es schien eine sehr stille Straße zu sein. Kurz nach sechs tauchten wieder helle Scheinwerfer im strömenden Regen auf. Es war inzwischen stockfinster. Ein Wagen bremste und hielt vor Geigers Haus. Die Glühfäden seiner Lampen leuchteten schwach und erloschen. Die Tür ging auf, eine Frau stieg aus. Eine kleine, schlanke Frau mit Wanderhut und durchsichtigem Regenmantel. Sie ging durchs Buchsbaum-Labyrinth. Ganz leise ein Klingeln, ein Licht im Regen, eine Tür, die ins Schloß fiel, Stille.
Ich langte eine Taschenlampe aus dem Handschuhfach und ging hinunter und sah mir den Wagen an. Es war ein Packard-Kabrio, kastanien- oder dunkelbraun. Das linke Fenster war unten. Ich tastete nach der Zulassungskarte und ließ Licht darauf fallen. Sie lautete auf: Carmen Sternwood, 3765 Alta Brea Crescent, West Hollywood. Ich ging wieder zurück zu meinem Wagen
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