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Der große Stier

Der große Stier

Titel: Der große Stier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Sanborn
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sich die Flasche Gin unter die Jacke und klatschte in die Hände.
    »… Unzählige werden durch diese Erkenntnis befreit werden; doch wenn auch viele auf solche Art zur Befreiung kommen, wird das Rad der Unwissenheit und Täuschung weder erschöpft noch beschleunigt werden, da die Zahl der Empfindenden groß ist, das böse Karma mächtig, das Dunkel stark …«
    »Ihr beiden Kerle nehmt Crimp und bringt sie in den Beiwagen«, sagte Rachel. »Ich komme raus, sobald ich diese letzten beiden Schachteln zurechtgemacht habe.«
    Als sie Crimp zum Beiwagen halb trugen und halb schleiften, fiel die Flasche aus Pauls Jacke und zerbrach. Greek-O begriff nicht, wieso Paul das so lustig fand und auf dem ganzen Weg zum Mill Valley nicht aufhörte, darüber zu lachen.
    Gegen 18 Uhr war Sausalito durch einen grauen Nebelstreifen, der sich über die Bucht bis nach San Francisco hinzog, vollkommen ausgelöscht. Die meisten Leute ließen ihren Wagen an der Golden Gate Bridge stehen und schlossen sich entweder den Fußgängern an, die zum Mount Tamalpais strebten, oder gingen in die Stadt zurück, um Iliyu im Fernsehen anzuschauen.
    Für etwa siebzig behelmte Männer der California Highway Patrol war der Nebel entschieden ein taktischer Vorteil; sie öffneten die ledernen Hüllen ihrer Schlagstöcke und machten sich Schulter an Schulter auf den langen Marsch durch die Wälder am Fuße des Berges.
    Weniger als hundert Yards davon entfernt prüften Walter und eine Gruppe von fünf Mann, alle in blaue Regenmäntel gekleidet, die Batterien ihrer infraroten Taschenlampen und begannen eine systematische Suchaktion, die sie auf einem spiralenförmigen Gang rings um den Berg und nach oben führen sollte.
    Auf der Straße des Old Mill Valley war der Nebel so dicht, daß Greek-O und Rachel beschlossen, zu Fuß weiterzugehen. Paul bestand darauf, bei Crimp zu bleiben, inmitten einer Gruppe von über hundert Schneekindern, die unter dem auf einer Baumspitze angebrachten Lautsprecher hockten. Paul schleifte Crimp zu einem Gebüsch neben einer Pyramide von Granitfelsen; dann setzte er sich zu den Schneekindern, um sich die ersten durchdringenden Töne der Ouvertüre von Iliyu anzuhören.
    Crimp rezitierte weiterhin das vertraute Wissen des Gnadenvollen. Nach dem Schluß des ersten Aktes begann Paul seinen Aufstieg. Er hielt es für sicherer, die Straße zu meiden, und nahm seinen Weg den Abhang gerade aufwärts; die Lautsprecher dienten ihm dabei als Verkehrszeichen. Die Musik setzte von neuem ein. Er war sich seines eigenen Körpers kaum bewußt, während er zwischen den Bäumen herging und die Tö ne fluoreszierende Visionen in seinem Geist schufen, die den Weg vor ihm zu erhellen schienen.
    Plötzlich war er oberhalb des Nebels. Sterne stürzten durch den Himmel wie blitzende Kristallwürfel, seine Füße konnten das Pulsieren der Baumwurzeln spüren, die in der schwarzen Erde anschwollen.
    Die Töne zogen ihn näher dem Gipfel zu.
    Jede Wahrnehmung klang in ihm wider, alle Gegenstände erschienen ihm gleich nahe. Wenn er den Arm ausstreckte, konnte er Berkeley berühren, ein einziger Schritt brachte ihn ans Meer. Eine einzige Sekunde lang leuchtete die gesamte Schöpfung im Auge eines Delphins, der sich hoch aufwölbte, um dann in die Wellen hineinzustürzen. Sogar das Fallen dauerte ein Jahrhundert, und ein Regen winziger weißer Samen schlug auf die Erde, übergoß tausend Düfte, brach aus in kühle, süße Früchte. Er tauchte kopfüber in einen Teich elfenbeinerner Schatten, als ein plötzlicher schmerzhafter Stoß ihn die Augen schließen ließ.
    Die kleinen weißen Samen tanzten noch am Himmel, während er langgestreckt auf dem Rücken lag und blinzelnd in ein umgekehrtes Gesicht sah.
    »Alles in Ordnung mit dir?« fragte das Gesicht.
    Die Samen setzten sich langsam in seine Augenwinkel.
    »Alles in Ordnung bei Ihnen?« wiederholte das Gesicht. Komisch, Nase, und Mund waren noch immer oberhalb der Augen.
    »Was ist passiert?« Paul erkannte seine eigene Stimme.
    »Du hast einen Trip genommen.«
    Paul setzte sich auf und suchte seine Stirn nach Blutspuren ab. Der Junge neben ihm lächelte mitfühlend und wandte dann seine Aufmerksamkeit wieder der Bühne zu.
    Der Schmerz in seinem Kopf forderte eine sehr rasche Deutung. Er saß an einem Feldrain, und fünf oder sechs Morgen mit Schneekindern betrachteten staunend das Schauspiel auf der Bühne vor ihnen. Es mußte nun kurz vor dem Ende des dritten Aktes sein; Paul erkannte Mrs. Chen, deren

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