Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der große Stier

Der große Stier

Titel: Der große Stier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Sanborn
Vom Netzwerk:
mit Cold Cream.
     
    Niemand hat es deutlich gesehen.
    Weder die Fernsehteams, deren Kameralinsen durch das plötzliche Aufwallen blauer Dämpfe am Schluß der Oper beschlugen, noch die Zeitungsreporter, die durch die schreiend herbeiströmenden Schneekinder buchstäblich zertrampelt wurden. Und nur jene Zuhörer, die mehrere hundert Meter vom Atlantis-Becken entfernt draußen im Schnee standen, wurden selbst nicht in den Wahnsinn hineingerissen.
    Aber alle wissen, daß es geschehen ist.
    Und es geschah auf Chebrexi.
    Der letzte Ton der Stiermusik klang noch als Echo über die dampfenden Gewässer, als Magdelaine, Schwester im Geiste derer mit den Roten Perlen, den tobenden Schneekindern zurief: »Ich bitte euch jetzt, zu opfern, was euch am heiligsten ist.«
    Ein funkelnder Blitz weißen Lichtes explodierte von der Deckenwölbung herab, und da, allein auf der Eisfläche hoch über Chebrexi, stand Richard Stier, prächtig in seiner Silberfuchsparka. Einige sagen, er hätte versucht, ein Zeichen zu geben, daß Stille herrschen solle. Andere meinen, er habe die Arme geschwungen, um den endgültigen Adventus zu segnen.
    Die nackten Schneekinder von Ruta waren als erste bei ihm und rissen ihm, als er niederfiel, den Fuchspelz vom Leibe. Dann kamen die anderen, schreiend und durch das lauwarme Wasser paddelnd, um ein Stück Fleisch von ihrem Gott abzureißen.
    Die schrillen Rufe »Stier! Stier! Stier!« waren so laut, daß sie auf dem über eine Meile entfernten Bahnhof deutlich gehört worden sind.
    Am nächsten Morgen war nichts mehr übriggeblieben als ein paar blutgetränkte Büschel Fuchspelz, die von Gruppen andächtiger Schneekinder sorgfältig aufgesammelt wurden. Und die einzige noch vorhandene Reliquie – eine blutbespritzte Zange – wurde eingesegnet und zur künftigen Verehrung im Adventuary eingeschlossen.

3. TEIL: Sausalito, Amerikanada
     
    Ein wolkenloser, windiger Samstag, der für die wöchentliche Meditation bestimmte Tag, in Sausalito. Kate, Greek-O und Lazio waren Crimp und einer Gruppe von fast fünfzig Schneekindern auf einem Schweigemarsch zum Stierschrein auf dem Gipfel des Tamalpais gefolgt; die anderen waren, nachdem sie die Schwestern-Avenue überquert hatten, zum Hausboot zurückgekehrt.
    Stiermusik plätscherte sanft vom Plattenspieler her, als Furbish, Rachel, Harvey und Beebee wortlos in der Stellung zur Stierverehrung um den Tisch herum auf dem Boden knieten; alle hielten den Blick auf die klei ne weiße Porzellanschale mit blauem Lehm gerichtet, die in der Mitte stand.
    »Meint ihr, wir könnten ohne Gefahr andere Kleider anziehen?« fragte Beebee, ohne den Kopf zu bewegen. »Diesmal würde ich so gern die orangefarbene Bluse tragen, und vielleicht das lange braune Kleid …«
    »Nein, Schatz«, sagte Furbish ruhig. »Es ist viel sicherer, wenn wir alle dabei bleiben, unsere weißen Sachen zu tragen, einfach für den Fall, daß einer von den Perlenbrüdern beschließt, uns zu besuchen.« Er hatte den Kopf lauschend auf eine Seite geneigt und wandte sich dann Harvey zu. »Hast du den Stoff mitgebracht?«
    Harvey faßte in sein Hemd und zog ein kleines braunes Päckchen heraus.
    »Ausgezeichnet! Gib es Rachel, in der Küche ist noch kochendes Wasser …«
    Es war der Anfang eines Rituals, das sie bisher schon oft praktiziert hatten – nicht ohne Gefahr. Sobald Rachel in der Küche war, stand Harvey auf, beide Hände an die Nase gepreßt, und brachte es mit einem vorgetäuschten Stolpern fertig, die elektrische Verbindung zu trennen. Es würde eine Stunde und vierzehn oder fünfzehn Minuten dauern, ehe die Stromunterbrechung gemeldet und behoben war.
    Furbish sprang auf, knallte auf den Plattenspieler und schlug dabei den Tonarm von der strahlend weißen Schallplatte herunter. Er nahm den weißen Lederband Das Stierbuch vom Altar am Fenster, öffnete ihn irgendwo und nickte Beebee zu.
    Sie wölbte ebenfalls eine Hand über ihre Nase, ging wie in Trance ans Fenster, um die Vorhänge zu schließen und dann zu versiegeln, darauf an die Tür, die sie geräuschlos fest verriegelte.
    »Ich wünsche noch immer, wir könnten uns umziehen«, sagte sie leise.
    »Hier nicht, Liebling.« Furbish blätterte das Buch durch und blinzelte ihr zu. »Soll ich euch vorlesen, solange wir warten?«
    »Nein, Mann«, sagte Harvey, »noch einen Orgasmus könnte ich einfach nicht ertragen.«
    »Probiert mal dies als reine verdammte, verfluchte Poesie …«
    Furbish räusperte sich. »Im Anfang war Stier, und

Weitere Kostenlose Bücher