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Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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Jugendgeschichte vor Augen, ihren Einband, den er selbst verfertigt, das Geschreibsel, alles würde er sogleich zerrissen und vernichtet haben, wenn er es in Händen gehabt hätte.
    Alles Vergangene erschien ihm töricht, dumpf und beschämend, auch erinnerte er sich genau aller Dummheiten, die er gemacht, sogar solcher, die er im Kinderröckchen begangen, und er fühlte sich rot werden über alle, weil er sich jetzt unendlich klug und gereift vorkam. Auch nahm er sich vor, von diesem Augenblicke an ganz klug zu sein und durchaus nichts Törichtes mehr anzustellen.
    Aber alles dies geschah mit reißender Schnelligkeit in wenig Augenblicken, und er ließ sich, schon von anderen Gedanken ergriffen, von der Birke herunter, als eben Erikson aus der Stadt herangeschritten kam.
    Ihr erstes Gespräch war das Benehmen Ferdinands. Erikson sagte nicht viel, während Heinrich mit großer Beredsamkeit sein Erstaunen ausdrückte, wie jener ein solches Wesen, wie Agnes sei, also behandeln könne. Er ergoß sich in den bittersten Tadel, und um so lauter, als er selbst in das schöne Kind verliebt war und sein Gewissen ihm sagte, daß das nichts weniger als in der Ordnung sei.
    Erikson hörte nicht viel darauf, sondern sagte: »Ich will wetten, daß er das arme Ding heute sitzenläßt und nicht mitbringt. Wir sollten ihm aber einen Streich spielen, damit er zur Vernunft kommt. Nimm einen der Wagen, fahre in die Stadt und sieh ein wenig zu! Findest du den verliebten Teufel nicht zu Hause noch bei dem Mädchen, so bring dieses ohne weiteres mit, und zwar in Rosaliens Namen und Auftrag, so kann die Mutter nichts dagegen haben; ich werde dies verantworten. Zu Lys wirst du nachher einfach sagen, daß du das für deine Pflicht gehalten, da er dir die Schöne am Abend vorher so hartnäckig anvertraut.«
    Heinrich ließ sich nicht zweimal auffordern und fuhr sogleich in die Stadt.
    Auf dem Wege traf er Ferdinand ganz allein in einer Kutsche.
    »Wohin willst du?« rief er Heinrich zu. »Ich soll«, erwiderte dieser, »dich aufsuchen und sehen, daß du das feine Mädchen mitbringst, im Fall du es nicht ohnehin tun würdest. Dies scheint nun so zu sein, und ich will sie holen, wenn du nichts dagegen hast. Eriksons schöne Witwe wünscht es.«
    »Tu das, mein Sohn!« erwiderte Ferdinand ganz gleichgültig, indem er sich dichter in seinen Mantel hüllte, und fuhr seines Weges, und Heinrich hielt bald darauf vor Agnesens Wohnung an. Das Rollen und plötzliche Stillstehen der Räder widerhallte auffallend auf dem kleinen stillen Platze, so daß Agnes im selben Augenblicke mit strahlenden Augen ans Fenster fuhr. Als sie Heinrich aussteigen sah, verschleierte sich der Blick wieder, doch harrte sie neugierig, daß er in die Stube träte.
    Ihre Mutter empfing ihn, beschaute ihn um und um, und indem sie fortfuhr, mit einer Straußfeder, die sie in der Hand hielt, ihren Altar, das darauf stehende Bild ihrer vergangenen Schönheit, die Porzellansachen und Prunkgläser davor, abzustäuben und zu reinigen, begann sie mit einem seelenlosen, singenden Tone zu plaudern: »Ei, da kommt uns ja auch ein Stück Karneval ins Haus, gelobt sei Maria! Welch allerliebster Narr ist der Herr!
    Aber was Tausend habt Ihr denn, was hat Herr Lys nur mit meiner Tochter angefangen? Da sitzt sie den ganzen Morgen, sagt nichts, ißt nichts, schläft nicht, lacht nicht und weint nicht! Dies ist mein Bild, Herr! wie ich vor zwanzig Jahren gewesen bin! Dank sei unserm Herrn Jesus Christ, man darf es ansehen! Sagen Sie nur, was ist es mit dem Kinde? Gewiß hat sie Herr Lys zurechtweisen müssen, ich sag es immer, sie ist noch zu ungebildet für den feinen Herrn, sie lernt nichts und beträgt sich unanständig. Ja, ja, sieh nur zu, Nesi! lernst du das von mir? Siehst du nicht auf diesem Bild, welchen Anstand ich hatte, als ich jung war? Sah ich nicht aus wie eine Edeldame?«
    Heinrich antwortete auf alles dies mit seiner Einladung, welche er sowohl in Ferdinands als in Rosaliens Namen ausrichtete; er suchte einige Gründe hervor, warum er und nicht jener selbst komme, indessen die Mutter einmal über das andere rief: »So mach, so mach, Nesi! Jesus Maria, wie reiche Leute sind da beisammen! Ein bißchen zu klein, ein kleines bißchen, ist die gnädige Frau, sonst aber reizend! Nun kannst du nachholen, was du gestern etwa versäumt und verbrochen! Geh, kleide dich an, Undankbare! mit den kostbaren Kleidern, die Herr Ferdinand dir geschenkt! Da liegt der köstliche Halbmond am Boden.

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