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Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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Aber komm, jetzt muß ich dir das Haar machen, wenn's der Herr erlaubt!«
    Agnes setzte sich mitten in die Stube; ihre Augen funkelten, und die Wangen röteten sich leis von Hoffnung. Ihre Mutter frisierte sie nun mit großer Geschicklichkeit; sie führte mit großer Anmut den Kamm, und Heinrich mußte gestehen, als er die hochgewachsene Frau betrachtete und die immer noch schönen Anlagen und Züge ihres Gesichtes sah, daß sie wenigstens einen wahren Grund ihrer Eitelkeit gehabt. Doch wurde sein Auge bald von Agnes allein beschäftigt. Sie saß mit bloßem Halse, von der Nacht der aufgelösten Haare umschattet; um die langen Stränge zu kämmen und zu salben, mußte die Mutter weit von ihr zurücktreten. Sie sprach fortwährend, indessen weder Heinrich noch Agnes etwas sagten. Er hätte gewünscht, ein Jahr in dieser Ruhe zu verharren und keinen andern Anblick zu haben als diesen.
    Endlich war das Haar gemacht, und Agnese ging in ihre Kammer, das Dianengewand wieder anzuziehen; die Mutter ging mit, ihr zu helfen; allein sobald sie einigermaßen damit zustande gekommen, erschienen sie wieder und vollendeten den Anzug in der Stube, weil die Alte sich unterhalten wollte.
    Agnes sah nun womöglich noch wunderbarer aus als gestern; denn ihr seltsamer Zustand, in dem sie nicht geschlafen hatte, während sie doch von neuer Hoffnung und Sehnsucht belebt und durchglüht war, warf einen geisterhaften Glanz über sie.
    Sie fuhren in verschlossenem Wagen durch die Stadt; sobald sie aber im sonnigen Freien waren, ließ Heinrich die Decke zurückschlagen. Agnes atmete auf und fing an zu plaudern. Heinrich mußte ihr erzählen, wie die heutige Lustbarkeit sich veranlaßt habe, wer draußen zu treffen und wo Ferdinand sei.
    Sie wurde immer vertraulicher, sah ihm freundlich lächelnd in die Augen und ergriff seine Hand; denn er war ihr wie ein guter Engel erschienen, der sie zum Glücke führen sollte. Die Landleute am Wege sahen mit Verwunderung das einzelne Pärchen dahinfahren, das wie aus einer anderen Welt kam, und Heinrich fühlte sich zufrieden und beglückt.
    Der Mensch nährt sich, wird gut oder böse, vom Schein. Wenn ihm das Glück eine bloße Situation gibt, so wurzelt er daran, wie eine Pflanze am nackten Felsen. Weil Heinrich nun wieder mit einem reizenden und ungewöhnlichen Mädchen, in schöner Tracht, in vertrautem Zusammensein unter dem blauen Himmel dahinfuhr wie vor Jahren, als er mit einem wirklichen Liebchen über den Berg geritten, erklärte sich sein Herz zufrieden und verlangte nichts Besseres.

Er faßte sich also zusammen und nahm sich vor, ordentlich zu sein. Zwar fühlte er sich noch mehr als gestern in Agnes verliebt, aber er fühlte nun auch, daß er ihr herzlich gut war und nur Gutes wünschte. Daher entschloß er sich, ihr als treuer Freund zu dienen und alles daranzusetzen, daß ihr kein Unrecht geschähe.
    Als sie schon das weiße Landhaus in geringer Entfernung glänzen sahen, geriet Agnes aufs neue in große Aufregung; sie wurde bald rot, bald blaß, und da sich eine kleine ländliche Kapelle am Wege zeigte, verlangte sie auszusteigen.
    Sie eilte, ihr langes Silbergewand zierlich zusammennehmend, in die Kapelle; der Kutscher nahm seinen Hut ab und stellte ihn neben sich auf den Bock, um die fromme Muße auch zu einem Vaterunser zu benutzen, und Heinrich trat verlegen unter die offene Tür. Das Innere der Kapelle zeigte nichts als einen wurmstichigen Altar, bedeckt mit einer verblichenen veilchenblauen Decke. Das Altarbild enthielt einen Englischen Gruß, und vor demselben stand noch ein kleines Marienbildchen in einem starren Reifröckchen von Seide und Metallflittern in allen Farben. Rings um den Altar hingen geopferte Herzen von Wachs, in allen Größen und auf die mannigfaltigste Weise verziert; im einen stak ein Papierblümchen, im andern eine Flamme von Rauschgold, das dritte durchbohrte ein Pfeil, wieder ein anderes war ganz in rote Seidenläppchen gewickelt und mit Goldfaden umwunden, eines war gar mit großen Stecknadeln besteckt, wie ein Nadelkissen, wohl zum Zeichen der schmerzvollen Pein seiner Spenderin.
    Auf den Bänken aber lagen zahlreiche Abdrücke eines Gebetes, das auf Pappe gezogen auch an der Tür hing und folgende Überschrift trug Gebet zur allerlieblichsten, allerseligsten und allerhoffnungsreichsten heiligen Jungfrau Maria, der gnadenreichen und hilfespendenden Fürbitterin Mutter Gottes.
    Approbiert und zum wirksamen Gebrauche empfohlen für bedrängte weibliche Herzen

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