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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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leichtsinnigen toten Vaters sei. Jeder von ihnen hatte einen Advokaten, der sich um die zu erhoffende Beute tüchtig wehrte, und eine Zeitlang schien bei der Entfernung des ursprünglichen Schauplatzes und dem Mangel an Zeugen der Kampf innezustehen, bis der Advokat des Hieronymus, nach Anleitung der Cornelia, einige ältere Männer herbeibrachte, welche den alten Zwiehan in seinen jüngeren Jahren, vor der Zeit der Auswanderung, noch wohl gekannt hatten.
    Diese Männer bezeugten, daß Albertus der eigene Sohn des Alten sein müsse, weil er demselben ihrer deutlichen Erinnerung nach so ähnlich sehe wie ein Ei dem andern, wodurch der Streit zugunsten des wahren Hieronymus entschieden und dieser in das ganze Erbe, wie Albertus es hergeschleppt hatte, eingesetzt, der letztere aber wegen seines betrüglichen Vorgebens, zwar mit Annahme mildernder Umstände, für ein Jahr ins Gefängnis geworfen wurde.
    So war Albertus Zwiehan um sein natürliches Recht gekommen und sah den Abkömmling eines wildfremden Abenteurers, der selbst ein solcher war, durch die Schuld seiner leiblichen Mutter in den Besitz des ganzen von seinem Vater erworbenen Vermögens gebracht, während er selbst ein Bettler geworden.
    Cornelia dagegen, deren schönklingender Name einst den einfältigen Albertus so bestochen hatte, vermählte sich unverzüglich mit dem Piraten, dessen mangelhafte und rauhe Sitten sie nicht abschreckten. Um den unglücklichen Albertus auch nach Verbüßung seiner Strafe noch weiter quälen zu können, beredete sie ihren Mann, ihn um Gottes willen in das Haus aufzunehmen, was auch geschah. Er mußte nun die Arbeit eines Knechtes oder eher einer Magd verrichten; denn er besaß zunächst nicht einen Pfennig, mit welchem er hätte verreisen oder ein Geschäft beginnen können, und war daher genötigt, sich allem zu unterziehen. Unkraut jäten, Salat putzen, Wasser tragen ärgerten ihn weniger als das Einrichten jener Wasserleitung und das Aufhängen der Wäsche, zu welchem ihn die Madame Cornelia Zwiehan regelmäßig mit boshaftem Lächeln anhielt. Eine Abwechslung gewährte ihm das Abschreiben der Familienchronik, welche im Besitze einer alten Frau von Zwiehanischer Abstammung war und dem Hieronymus Zwiehan geliehen wurde. Dieser, als der letzte nun legitime Stammhalter des früher nicht unbedeutenden Geschlechtes, wollte sich auf dem Wege der Abschrift seiner Vorfahren versichern, da die eigensinnige Alte das Dokument nicht abtrat. Er selbst verstand nicht deutsch zu schreiben, und die Cornelia, die sich ganz einem bequemen Wohlsein ergeben, weigerte sich, die Kopie anzufertigen.
    Durch das Abschreiben lernte Albertus erst Ansehen und Würde der Familie kennen, aus welcher er abstammte und nun verstoßen war; denn nicht einmal seine Eigenschaft als illegitimer Abkömmling konnte er beweisen, weil hiefür nicht eine einzige Urkunde mehr vorhanden war. Durch die Unterdrückung seines wahren Familienstandes hatte der arme Tor sich selbst heimatlos gemacht, und die Ähnlichkeit mit seinem Vater, welche hingereicht, ihm das Erbe zu rauben, wurde nicht für genügend erachtet, ihm Namen und Bürgerrecht des Vaters zu verschaffen, weil hierüber kein Spruch und keine Notiz vorhanden war.
    Um wenigstens eine Spur von seinem Dasein zu hinterlassen, schrieb er heimlich sein Schicksal in das Original der Aufzeichnungen hinein, wozu eine Reihe leergebliebener Blätter genügenden Raum bot, und brachte das Buch nach beendigter Arbeit sofort jener Alten zurück. Sie las die eingeschaltete Geschichte mit aller Teilnahme, besonders da sie den neuen Stammhalter nicht leiden konnte, und als Albertus Zwiehan bald darauf aus Verdruß über den Verlust seines Daseins, ja seiner Person und Identität krank wurde und starb, ließ sie ihm einen Grabstein setzen und schrieb in die Chronik, mit ihm sei der letzte wirkliche Zwiehan begraben worden, und was allfällig in Zukunft noch unter diesem Namen herumlaufen werde, sei die Abkommenschaft eines landstreicherischen fremden Seeräubers.
    Es war eine warme Sommernacht, als ich mich dazumal über die Kirchhofmauer schwang und den Schädel, den ich mir bei Anlaß eines Leichenbegängnisses gemerkt, abholte. Er lag in einem hohen grünen Unkraut, die Kinnlade daneben, und war inwendig von einem schwachen bläulichen Lichte erhellt, das leise durch die Augenhöhlen drang, wie wenn das leere Kopfhäuschen des Albertus Zwiehan, insofern es wirklich das seinige gewesen, noch von nichtigen Traumgeistern bewohnt

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