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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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wäre. Zwei Glühwürmchen saßen nämlich darin, vielleicht in Hochzeitsgeschäften; ich nahm jedoch an, es seien die Seelen der Cornelia und der Afra, und steckte sie zu Hause in ein Fläschlein mit Weingeist, um ihnen endlich den Garaus zu machen; denn ich glaubte fest, auch die fromme Afra habe den unhaltbaren Menschen absichtlich mit ihrem Rücken angelockt und irregeführt.
    Nachdem der Grund des Reisekastens mit dem eingemauerten Totenkopfe dermaßen gelegt war, kam die Mutter heran, um die neue Leibwäsche in gebührlicher Weise hineinzuschichten und mir die solchen Dingen zukommende Sorgfalt einzuprägen. Alles, was sie zum Vorschein brachte, hatte sie selbst gesponnen und weben lassen, eine Anzahl feinere Hemden noch in jungen Jahren; denn da der Anwachs des Hauses so früh abgebrochen worden, so waren die Vorräte ihres Fleißes zum guten Teile verschont geblieben, und ich nahm auch von diesem wiederum nur einen Teil mit, indessen die Mutter das übrige für meine, wie sie hoffte, rechtzeitige Rückkehr zur Erneuerung bereithielt.
    Dann kam ein Feiertagskleid, zum ersten Mal in anständigem Schwarz; galt es ja nun, nicht durch Verletzung der Sitte vom Wege des guten Fortkommens abgedrängt zu werden; überdies glaubte die Mutter, daß ich durch den Besitz eines Sonntagskleides eher im Zusammenhange mit der göttlichen Weltordnung leben würde, wie sie sich auch nicht vorstellen mochte, daß ich in fremden Ländern einstmals sonn-und werkeltags im gleichen Rocke herumlaufen könnte. Sie wiederholte daher während des Packens die schon oft erteilten Ermahnungen über das Instandhalten der Kleider, wie mit einer einmaligen Vernachlässigung, einem kurzen Mißbrauche schon der frühe Untergang eines Stückes eingeleitet würde und wie wenig ehrenhaft es sei, einen weggelegten Rock später aus Armut doch wieder anziehen zu müssen, anstatt ihn von Anfang an zu schonen und möglichst lang in einem ordentlichen Mittelstande zu erhalten. Hiedurch verschaffe man dem Schicksal genügenden Spielraum, sich zu wenden, während beim schnellen Ruinieren eines Kleides ja gar nichts Rechtes vorgehen könne, eh es abgetragen und verlöchert sei.
    Nachdem endlich die übrigen Gewandstücke sowie die Ausstattung an kurzer Ware hineingebreitet und allerlei Wertlosigkeiten des ärmlichen Bedürfnisses dazwischengesteckt worden, schlossen wir den Koffer, und ein Mann schaffte die kleine Arche zur Post, mit welcher ich am nächsten Morgen abreisen sollte. Mit Schreck blickte die Mutter, die sich gesetzt hatte, auf den leeren Fleck des Stubenbodens, auf welchem der Kasten den ganzen Tag gestanden; auch die Mappen waren schon weggetragen und somit von allem, was mich anging, nur noch meine Person, und auch die bloß für eine kurze Nacht, vorhanden. Aber die Mutter überließ sich nicht lange diesem Vorgefühl der Einsamkeit, sondern raffte sich, da es Sonnabend war, nochmals auf, um die Stube in gewohnter resoluter Weise zu reinigen und nicht zu ruhen, bis alles getan war und die stille Sauberkeit der Sonntagsfrühe harrte.
    Die stieg denn auch mit dem schönsten Maientag herauf, als ich bei dem ersten Morgengrauen erwacht und aus der Stadt auf eine benachbarte Anhöhe gelaufen war, nur um in meiner Ungeduld die Zeit zu verbringen und den letzten Blick auf die Heimat zu werfen. Ich stand unter den Vorbäumen des Waldes; hinter demselben lag der Osten mit dem erschimmernden Morgenrot; zugleich aber erglühten die obersten Spitzen, Kämme und Wände des Hochgebirges im Süden, die dem Osten zugekehrt waren, in ungewohnten Formen, da ich sie zufällig nie so gesehen. Abstürze und Klüfte, allmählich auch ganze hochliegende Gefilde und Ortschaften kamen zum Vorschein, von denen ich keine Vorstellung gehabt; und als endlich auch die alten Kirchen der mir zu Füßen liegenden Stadt durch irgendeinen Bergeinschnitt östlich beglänzt wurden, dazu ein wolkenloser Äther sich über das Land ergoß und rings um mich her der Gesang der Vögel ertönte, da erschien mir diese Heimat so neu und fremdartig, als ob ich sie, statt sie zu verlassen, erst jetzt kennenzulernen hätte. Es war einer jener Fälle, wo ein Altgewohntes, Naheliegendes erst in dem Augenblicke, in welchem wir uns von ihm wenden, einen ungekannten Reiz und Wert enthüllt und die schmerzliche Erfahrung unserer Flüchtigkeit und Beschränktheit wachruft. Hier reichte der bloße Umstand, die Sache einmal im wörtlichsten Sinne von der anderen Seite beleuchtet zu sehen, hin,

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