Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]
mir den Abschied zu erschweren und ein Gefühl der Reue und Unsicherheit zu erwecken, ja mich den fruchtlosesten aller Vorsätze fassen zu lassen, ein fleißiger Frühaufsteher und Zeitbenutzer zu werden, wie wenn ich ein Ackersmann, Jäger oder Soldat wäre, die allerdings mit der ersten Morgenfrühe aufs Feld gehören. Als ein Zeugnis meines Vorsatzes und der besseren Pflichttreue hob ich das weiß und blau gestreifte Federchen eines Hähers vom Boden auf, welches die Farben unsers alten eidgenössischen Standes zeigte, und steckte es auf meine Sammetmütze. Damit eilte ich wieder in die Stadt hinunter, in deren Gassen jetzt die Morgensonne webte und die ersten Kirchenglocken erklangen. Während die Mutter das letzte Frühstück bereitete, machte ich den Umgang, mich bei den Hausgenossen zu verabschieden, welche die einzelnen Stockwerke als Mieter bewohnten.
Zuunterst hauste ein Spenglermeister, ein Bearbeiter jenes nützlichen Materials, das an sich fast wertlos, nur durch unendliches Schneiden, Klopfen und Löten etwas wird und nie zum zweiten Male gebraucht werden kann. Es beruht somit alles auf der zuwege gebrachten Form, mit welcher tausend hohle Räume umschlossen werden, und, da wegen des geringen Stoffes niemand viel Geld daranwenden will, auf einer von früh bis spät andauernden rastlosen Arbeit, damit durch die Menge des Gehämmerten ein bedürfnisgemäßer Ertrag ermöglicht wird. Hiedurch sowie durch die erste Vorsicht, welche beim gefährlichen Anschlagen von Dachrinnen erforderlich ist, war der Meister ein etwas grämlicher Formalist geworden, der, streng gegen seine Gesellen, mit Frau und Kindern auch nicht freundlich tat. Aus mißtrauischer Bescheidenheit hatte er nie gewagt, etwa einen Verkaufsladen zu eröffnen und sein Geschäft auszudehnen, sondern beschränkte sich darauf, in seiner dunklen Werkstatt, die in einer entlegenen Gasse lag, vom frühsten Morgen bis in die Nacht zu arbeiten, auch wenn seine Gesellen schon im Bette oder im Wirtshaus waren.
Er bezahlte den Mietzins immer pünktlich und verhielt sich der Mutter gegenüber gut und geziemend; mich aber sah er mehr von der Seite an und behandelte mich abgemessen und trocken, weil er, wie ich längst bemerkt, mein bisher so freies und sorgenloses Leben, meinen Beruf, überhaupt alles, was ich tat, mißbilligte. Um so überraschter war ich, als er mich jetzt ganz aufgeräumt und freundschaftlich empfing und seine unverhoffte Heiterkeit durch ein frischrasiertes Gesicht und sonntäglichen Anzug noch verklärt wurde, was ihn freilich nicht hinderte, einen kleinen Knaben durch eine Ohrfeige schnell zum Weinen zu bringen, der, beim Frühstück sitzend, noch mehr Milch verlangte. Gleich darauf begann auch ein Mädchen unterdrückt zu schluchzen, das er plötzlich am Zopf gezerrt, weil es sein Brot hatte auf die Erde fallen lassen. Nachdem auf einen strengen Blick des Mannes die Frau sich mit den Kindern in die Küche zurückgezogen, besprach er in heiterm Ton meine Reise, die Städte, welche ich sehen würde, die Wahrzeichen derselben, die ich besichtigen solle, und nannte mehrere, wie die Handwerksburschen auf der Wanderschaft sie sich zu überliefern pflegen, hier einen steinernen Mann, dort einen schiefen Turm, anderswo einen hölzernen Affen am Rathaus. Dann brachte er Speis und Trank zur Sprache, was hier oder dort gut zu trinken oder zu meiden sei, die leckeren Nationalgerichte, die er nie vergessen und auf die ich stoßen werde, je nach Landesart. Da möge ich mir nichts abgehen lassen.
Bedächtig schritt er unversehens zu seinem Schreibtisch, nahm ein Papierchen heraus, in welches ein Brabantertaler gewickelt war, und überreichte es mir als bescheidenes Reisegeschenk, wie er sagte, mit der Aufforderung, es mit guter Gesundheit fröhlich zu verzehren. Ich durfte es nach der Sitte nicht ablehnen, sondern behielt es mit höflichem Dank in der Hand und stieg eine Treppe höher. Später habe ich erst erfahren, welche Bewandtnis es mit seiner Freundlichkeit hatte. Er war so fröhlich und scheinbar wohlwollend, weil er der Überzeugung lebte, ich werde nun lernen, was Leben und Arbeiten sei, und in der Schicksalsschule, der ich so harmlos entgegenreise, gehörig gemaßregelt werden; denn es war mit den nationalen Leckerbissen, die er auf der Wanderschaft genossen haben wollte, nicht weit her; Hunger und Durst hatte er gelitten und jegliche Not durchgemacht, nicht aus eigenem Verschulden, sondern aus Unstern. Sein heiterer Abschied war daher
Weitere Kostenlose Bücher