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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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Meine eigene Mitspielerschaft ganz vergessend, erlabte ich mich an dem Anblick der Herrlichkeit; als ob ich selbst ein Nachkomme der verschwundenen Reichsgenossen wäre, atmete ich voll stolzer Freude, die sich womöglich noch steigerte, als nun unter den gelehrten Räten des Königs der berühmte Willibald Pirckheimer auftrat, der in dem sogenannten Schwabenkriege den nürnbergischen Zuzug in der Heerfolge Maximilians gegen die Schweizer geführt und jenen Feldzug beschrieben hat. Denn plötzlich fiel mir nun ein, wie dieser selbe Ritterkönig mit allen diesen Kriegsherren, als er mein Vaterland hatte zum Reiche zurückzwingen wollen, das gegen meine Vorfahren aufgerichtete Reichsbanner hatte niederlassen und ohne Erfolg abziehen müssen, in die Klage ausbrechend, er könne die Schweizer nicht ohne Schweizer schlagen. So vermochte ich um so ungetrübter mich allen nationalen Selbstzufriedenheiten hinzugeben und bedachte nicht, wie unablässig die Eimer des Geschickes steigen und fallen und wie wenig, was meine alten Eidgenossen betraf, dieselben eigentlich trotz ihrer Tapferkeit von allen ihren Nachbaren geliebt und geschätzt waren.
    Ich hätte auch beinahe übersehen, daß der lange Prachtzug des letzten Ritters zu Ende ging und, während die Scharen der bisher Vorübergezogenen im weiten Rundgange sich kreuzten, schon der Mummenschanz heranrauschte, in welchem alles sich auftat, was die Künstlerschaft an übermütigen Sonderlingen, Witzbolden, Lückenbüßern und Kometennaturen vermochte.
    Auf einem störrischen Esel eröffnete der Mummereimeister den träumerischen Zug, und hinter ihm tanzten die bunten Narren Gylyme, Pöck und Guggerillis, die Zwergschälke Metterschi und Duweindl und viele andere Narren daher, unter welche ich als ein ziemlich stiller Narr zurückgeschlüpft war. Dann kam der bekränzte Thyrsusträger, welcher die behaarte, gehörnte und geschwänzte Musikbande führte. In ihren Bockshäuten nach der eigenen Musik hüpfend und hopsend, brachten diese Gesellen eine uralte, seltsam schreiende und brummende Musik hervor, bald in der Oktave! bald in lauter Quinten pfeifend und schnurrend, aus der obersten Höhe in die unterste Tiefe springend.
    Mit goldenem umlaubtem Thyrsusstabe schritt der Anfahrer des Bacchuszuges vor. Ein Kranz blauer Trauben umschattete seine glühende Stirn; von den Schultern flatterte und wallte eine festliche Last buntgestreifter Seidenbänder bis auf die Füße und verhüllte wehend den schlanken Körper.
    Nur die Füße waren mit goldenen Sandalen bekleidet. Halb mittelalterlich, halb antik geschürzte Winzer umschwärmten die biblischen Kundschafter aus dem Gelobten Lande, welche an tiefgebogener Stange die große Traube trugen, gefolgt von vier noch kernhafteren Männern, die zwischen vier aufrechten Fichten eine noch viel mächtigere Traube daherbrachten. Alle übrige Zubehör eines bacchantischen Getümmels mit Becken, Schalen und Stäben zog und schob den Wagen des efeubekränzten Gottes, über dem sich ein dunkelblauer Himmel von Trauben wölbte.
    Dem Triumphwagen der Venus, welcher sich hierauf nahte, gingen als Diener des Mars zwei zarte, in Landsknechttracht gekleidete Knaben mit Trommel und Pfeife vorauf, die gekerbten Federhüte auf dem Rücken tragend, daß das bunte Gefieder auf dem Boden schleifte. Mit schelmischer Feierlichkeit ließen sie ihren Kriegsmarsch ertönen, wobei die mehr sanfte als schrille Flöte immer denselben sehnsüchtigen Satz wiederholte. Könige mit Krone und Zepter, zerlumpte Bettler mit dem Schnappsack, Pfaffen und Juden, Türken und Mohren, Jünglinge und Greise zogen den Wagen herbei. Die auf ihm ruhende Venus war niemand anders als die schöne Rosalie, halb liegend auf einem Rosenlager unter durchsichtiger Blumenlaube. Ihr Kleid war von Purpurseide, aber vom Schnitte eines patrizischen Festkleides der damaligen Zeit, wie etwa Altrecht Dürer eine mythologische Gestalt zu zeichnen liebte.
    Der schwere Stoff bildete sogar getreu den prächtigen gebrochenen Faltenwurf an den weiten langen Ärmeln und der königlichen Schleppe, und ein breiter Damenhut von Purpursammet, mit weißen Federn umsäumt, überschattete waagrecht das Haupt, von einem goldenen Stern überstrahlt. In der Hand hielt sie eine goldene Weltkugel, auf welcher zwei mit den Flügeln schlagende und sich schnäbelnde Tauben saßen. Unter ihren Gefangenen gingen zu beiden Seiten des Wagens der heidnische Philosoph Aristoteles und der christliche Dichter Dante Alighieri,

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