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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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und ihrem Genie gedrungen, die Kleider eines verstorbenen zwölfjährigen Sohnes anzog, den Zopf abschnitt und sich so zu gewissen Stunden auf die Straße wagte und sich unter die Buben mischte. Als sie ihre Kunst auf die Spitze trieb, wurde sie entdeckt. Auf dem Käsemarkt, wo die Käsehändler ihren Verkehr hielten, hatte sie beobachtet, wie diese Männer mit hohlen Kässtechern aus den großen Schweizerkäsen zum Behufe des Kostens ihrer Qualität runde Stäbchen oder Zäpfchen herausstachen, davon ein Endchen säuberlich vorn abbrachen, kosteten und das Zäpfchen im übrigen wieder in das Loch steckten, daß der Käse wieder ganz war. Also versah sie sich mit einem gewöhnlichen Nagel, strich um die Käse herum und erspähte die Stellen, wo eine zarte Kreislinie ein solches Stäbchen anzeigte. Dann steckte sie im geeigneten Momente den Nagel hinein und zog es heraus, und oftmals trug sie wohl ein halbes Pfund trefflichen Käses nach Haus. Endlich aber, da die Käsehändler überall auf ihren Vorteil erpichter und unduldsamer sind als andere Kaufherren, wurde sie erwischt und der Polizei übergeben und bei dieser Gelegenheit ihr wahrer Stand entdeckt. Man nannte sie aber den Jochel Klein, solang sie lebte.«
    Agnes ergötzte sich an der einfachen und harmlosen List der armen Frau und bedauerte nur den schlechten Ausgang. Der andere Glasmaler hingegen meldete sich auch mit einer Verkleidungsgeschichte eines Weibes, die aber grauslicher sei als die von dem weiblichen Gassenjungen.
    »Es ist aber eine alte Geschichte aus dem sechszehnten Jahrhundert«, sagte er; »im Jahr 1560 oder 62 laut der Chronik geschah es in der Stadt Nimwegen, im Geldernschen gelegen, daß der Scharfrichter nach dem Städtlein Grave an der Maas, auf der brabantischen Grenze, berufen wurde, um drei Missetäter zu richten. Der Nachrichter von Nimwegen lag aber krank und schwach im Bett, weil ihm sein eigener Knecht mit einem vergifteten Süppchen vergeben hatte, um seine Stelle zu bekommen. Denn, sagt der Chronist, es ist kein Amt so elend, daß nicht einer da wäre, der es auf Kosten seiner Seele erhaschen möchte. Der Meister berichtete also an den Rat zu Grave, er könne nicht kommen, werde aber seine Frau stracks an den Scharfrichter von Arnheim senden, mit dem er einen Vertrag zu gegenseitiger Aushilfe geschlossen habe, und es werde derselbe rechtzeitig sich stellen und zu Gebote sein. Der Frau befahl er, sich unverweilt nach Arnheim zu begeben und den dortigen Geschäftsfreund in Kenntnis zu setzen. Doch die Frau, ein wohlgewachsenes, schönes und freches Weib, war geizig und wollte den Lohn eines so einträglichen Geschäftes nicht fahrenlassen. Statt nach Arnheim zu gehen, zog sie heimlich die Kleider ihres Mannes an, nachdem sie Hemd und Wams der Brust wegen erweitert hatte, setzte seinen Federhut auf den schnell geschorenen Kopf, gürtete das breite Richtschwert um und machte sich bei Nacht und Nebel auf den Weg nach Grave, wo sie zur rechten Stunde eintraf und sich bei dem Burgermeister meldete. Ihm fiel zwar ihr glattes Gesicht und die junge helle Stimme auf, und er fragte, ob sie oder vielmehr er, der angebliche Scharfrichter, auch die hinreichende Kraft und Übung zu dem vorhabenden Werke besitze? Aber sie versicherte mit frechen Worten, daß sie das Spiel genugsam kenne und es schon manchmal getrieben habe. Sie griff auch gleich nach dem Stricke, an welchem der erste der armen Sünder hinausgeführt wurde, und setzte sich so in den Besitz desselben. Als es aber so weit gekommen, daß der Mann auf dem Stuhle saß und sie ihm die Augen verband, ward er etwas unruhig; sie bückte sich tiefer über ihn her, um zu sehen, ob die Binde überall gut schließe, und so spürte er ihre weiche Brust an seinem Kopfe. Sogleich schrie er, es sei ein Weib da! er wolle aber nicht von einem solchen, sondern von einem ordentlichen Nachrichter getötet werden, das sei sein Recht! Der arme Mensch hoffte durch den Umstand einen Aufschub zu gewinnen. In der entstehenden Verwirrung schrie er immer lauter, man solle ihr die Kleider herunterreißen, so werde man sehen, daß es ein Weibsbild sei. Da die Sache endlich die Umstehenden nicht unwahrscheinlich dünkte, wurde einem Henkersknecht geboten, sich zu überzeugen, und mit der Schere, mit welcher er soeben dem Übeltäter das Haar abgenommen, schnitt er dem Weibe auf Brust und Rücken Wams und Hemd auf und streifte es ihr von den Schultern, so daß sie vor allem Volke mit entblößtem Oberkörper

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