Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]
Nachmittag hinein, und als ich erwachte, wußte ich nichts mit mir anzufangen; die Welt und mein Kopf schienen mir beide leer und ausgestorben. Ich dachte an das Ende des Kadettenfestes in meiner Knabenzeit, an dasjenige des Tellenspieles, und sagte mir Wenn alle deine Freudenfeste einen solchen Ausgang nehmen, so wird es besser sein, du gehst nicht mehr hinzu, wo es dergleichen gibt! Zunächst las ich das Narrenkleid zusammen, das zerstreut am Boden lag, und hing es im Atelier als malerischen Gegenstand an einen Nagel, und den Distel-und Stechpalmenkranz legte ich um den Zwiehansschädel, den ich auf die Kommode des kleinen Schlafzimmers setzte, um dergestalt ein heilsames Memento zu errichten. Das Spielerische und Ziersüchtige in uns bleibt in allem Elende und unter allen Gestalten lebendig, bis wir zerbrochen sind. Vielleicht ist es ein Teil des Gewissens; denn wie das Tier nicht lacht, so spielt der ganz Gewissenlose nicht, es sei denn um Gewinn.
In meiner dunkel müßigen Lage war mir der Besuch Reinholds, des Winzers und Geigenspielers, willkommen, der mich aufsuchte und einen Liebesdienst von mir verlangte. Er berichtete, daß der hilflose Zustand Agnesens noch stundenlange gedauert und sie sich erst gegen Morgen soweit erholt habe, daß die Heimschaffung möglich geworden, und zwar bereits bei Tageshelle. Allein nachteilige Gerüchte von einem sozusagen zuchtlosen Benehmen, von einer Berauschung, in deren Folge sie von einem reichen Bewerber sofort verlassen und aufgegeben worden sei, wären schon vorausgedrungen, und als das Gefährt vor dem Hause angekommen und das Mädchen, matt und niedergeschlagen, ausgestiegen sei, hätten sich die Nachbarfenster geöffnet und die Leute mit sichtlicher Verachtung oder wenigstens Mißbilligung zugeschaut. Er selbst habe nebst einer Magd vom Landhause die Arme begleitet, sich aber natürlich sofort wegbegeben, ohne mit in das Haus zu treten. Aber auch dies Erscheinen eines neuen Beschützers habe den bösen Schein noch verschlimmert, und es liege wohl an uns, die wir das Unsrige beigetragen, den Leumund des unschuldigen Wesens zu verteidigen. Er habe nun den Plan gefaßt und mit seinen Freunden verabredet, heute abend unter dem Fenster des geprüften Fräuleins eine ernsthafte und ehrbare Musik, eine Serenade in würdigster Form, abzuhalten; um jede Störung zu vermeiden und das Ansehen der Sache zu erhöhen, sei schon die amtliche Erlaubnis eingeholt. Nach Schluß der Serenade aber gedenke er stracks hinaufzugehen und der Verlassenen feierlich seine Hand anzutragen.
»Absichtlich«, fuhr er fort, »will ich von allem, was vorausgegangen, nichts wissen, was man auch munkeln mag! Wie sie ist, in diesem Augenblicke, mit ihrem Gesichtchen, ihrer leichten Gestalt, mit ihrem ganzen Wesen und ihrem kleinen Schicksal gefällt sie mir und dünkt mich unentbehrlich! Und wenn ich mich irre, so wird es nur in dem Sinne sein, daß sie mehr ist, als ich geglaubt habe! Etwas warme Sonne, ein wenig Glück, was man so nennt, gleichsam ein Gläschen guten Rheinweins werden sie munter machen!«
»Und was soll ich hiebei tun?« fragte ich verwundert, aber auch mit Teilnahme, da mir das Vorhaben des gemütlichen Mannes als die beste Hilfe in der Not erschien.
»Was ich von Ihnen wünsche«, versetzte er, »ist, daß Sie gegen Abend in das schmale Haus, in das Juwelenkästchen, gehen und die Frauen suchen hinzuhalten, damit sie es nicht verlassen und doch von der Musik überrascht werden. Ferner sollen Sie, wenn es nicht von selbst geschieht, das Gespräch auf mich bringen, in nicht auffälliger Weise, und mich ein bißchen anrühmen, das heißt, nicht meine Person, sondern meine Verhältnisse, ich will sagen, meinen bescheidenen Wohlstand, der mir erlaubt, unbesorgt eine Frau heimzuführen. Ich wünsche, daß Sie das ganz beiläufig tun, jedoch als von etwas Bekanntem, sozusagen außer Zweifel Stehendem sprechen, so daß diese Voraussetzung bereits vorhanden ist, wenn ich komme, und ich nicht selbst davon anfangen muß. Es ist solches wichtig und in dergleichen Verwicklungen meistens von entscheidendem Einfluß. Und Sie werden nicht lügen, sofern Sie nicht etwa aufschneiden, ich geb Ihnen mein Wort darauf! Etwas Grundeigentum und mein Kunsterwerb reichen zu einem bürgerlichen, doch keineswegs knauserigen Leben hin, und für die Zukunft ist mir das Erbe einer alten Tante sicher, die mich immer wegen des Heiratens plagt und eine Aussteuer bereithält wie für eine einzige Tochter. Halt
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