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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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Tochter eine Serenade bringt! Ihr gilt die Musik, um ihr vor der Welt und dieser Stadt eine Ehre zu erweisen!«
    Ich öffnete einen Flügel des Fensters, indessen die Frau nach ihren Staatsleuchtern eilte und die rosenroten Kerzen entflammte, welche jetzt trefflich zustatten kamen. Das Adagio aus einem ältern Italiener floß mit dem lauen frühzeitigen Lenzhauche gar prächtig herein.
    »Kind!« flüsterte die Mutter dem aufhorchenden Mädchen zu, »wir haben ein Ständchen, wir haben ein Ständchen! Komm, sieh nur hinaus!« Ich hörte ihre Stimme zum ersten Mal so herzlich erfreut und wirklich beseelt zu dem Kinde reden, so erlösend wirkte der musikalische Vorgang auch auf sie, und Agnes wandte ihr bleiches Gesicht stumm nach dem Fenster. Dann erhob sie sich langsam und ging heran. Sowie sie aber die vielen Gesichter auf der Straße und unter allen Nachbarfenstern im Fackellichte erblickte, floh sie wieder nach ihrem Sitze, legte die gefalteten Hände in den Schoß und neigte das Haupt leise zur Seite, um keinen Ton der schönen Musik zu verlieren. So blieb sie, bis die drei Stücke, welche die Männer aufführten, zu Ende waren und die Musik mit einer melodisch heiteren, fast reigenartigen Wendung geschlossen hatte, die Musikanten aufbrachen und still hinweggingen, während das Volk auf der Gasse lauten Beifall klatschte. Auch die sauberen Kästchen und Futterale, in welchen sie ihre Instrumente trugen, erhöhten beim Publikum den Eindruck des Außergewöhnlichen und Vornehmen; die Leute betrachteten, indem sie sich langsam zerstreuten, neugierig das merkwürdige Haus, und die am Fenster stehende Frau genoß alles bis zum letzten Momente; selbst das Forttragen der Pulte dünkte ihr das Feierlichste und Großartigste, was sie

erleben konnte.
    Als sie endlich das Fenster zumachte und sich umwandte, stand Reinhold in der Stube und begrüßte sie ehrerbietig, und ich nannte zugleich seinen Namen.
    Dann entschuldigte er sich wegen der Freiheit, die er sich genommen, eine so aufdringliche Störung zu bringen, welche sie der allgemeinen Karnevalsstimmung zu gut halten wolle; und sie erwiderte ihm mit großen Komplimenten und Danksagungen, wobei sie in einen so glückselig singenden Ton geriet, daß es beinahe klang, wie wenn einer in Flageolettönen auf der Geige spielen würde. Plötzlich unterbrach sie sich, um die Tochter herbeizurufen, die ihr ungebührlich lang im Winkel zu säumen schien. Diese war aber unbemerkt hinausgeschlüpft und kam jetzt wieder herein. Sie hatte über ihr Morgenkleid, in welchem sie den Tag über getrauert, einen weißen Shawl geschlagen und die Enden auf den Rücken gebunden. Das schwarze Haar hatte sie einfach zusammengefaß und im Nacken in einen mächtigen Knoten geschlungen, alles in einer Minute und wahrscheinlich ohne in den Spiegel zu sehen. In Haltung und Gesichtsausdruck schien sie um zehn Jahre älter; selbst die Mutter sah sie mit großen Augen an, wie wenn sie einen Geist erblickte. Aufrechten Ganges trat Agnes dem Gottesmacher entgegen, richtete mit ruhigem Ernste die Augen auf ihn und gab ihm die Hand. Wäre sie in Sammet und Seide gehüllt gewesen, so hätte sie den Blick Reinholds nicht so bannen können, wie sie jetzt mit ihrer einfachen Erscheinung tat, und ich selbst mußte sogleich denken Gott sei Dank, daß Lys fort ist und sie nicht mehr sieht, sonst ginge das Unheil von neuem an!
    Reinhold aber betete mit stummer Anschauung sein eigenes Werk an; denn, buchstäblich zu sagen, hatte er die geknickte Blume aufgerichtet, daß sie wieder leben konnte. Die Ehren, die er ihr gegeben, leuchteten so rein von ihrer Stirn und um die stillen dunklen Augensterne, daß er demütig betreten nicht zu Worten zu kommen wußte, auch als wir nun am Tische saßen und die Mutter neuen Tee machte. Es ging etwas verlegen und einsilbig zu, bis die Alte auf die rheinische Heimat des Gastes zu reden kam und ihn fragte, ob es wahr sei, daß sein hiesiger Aufenthalt nicht mehr lange dauere und er dorthin zurückkehre? Das löste ihm die Zunge, indem er dartat, wie Kirchen und Prälaten mit ihren Bestellungen seiner harrten und auf die gewonnenen Fortschritte in der Arbeit zählten. Dann freute er sich des Lobes der schönen Heimat. »Mein Haus«, sagte er, »liegt außerhalb des alten Städtchens am sonnigen Abhang, wo man den Rheingau hinauf und hinunter schaut; Türme und Felsen schwimmen in bläulichem Dufte, durch welchen das breite Wasser zieht. Hinter dem Garten legt sich der Wein an den

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