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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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Fenster zu sitzen!« sagte die Mutter.
    Ich ging hin, sie zu begrüßen und ihr die Hand zu reichen; allein sie wendete sich noch tiefer ab und begann leise in sich hinein zu weinen.
    Verlegen ging ich zum Tische zurück, und da ich von meinen eigenen Abenteuern moralisch geschwächt war, so kamen mir selbst Tränen in die Augen. Das rührte hinwieder die Witwe, daß auch sie anfing, wobei sich ihr Gesicht so stark verzerrte, wie man es nur an flennenden kleinen Kindern sieht. Es war ein ganz merkwürdiger, unbehaglicher Anblick, über welchem sich meine Augen schnell trockneten. Aber auch bei der Frau war der Gewitterschauer wie bei Kindern rasch zu Ende, und mit ganz veränderter Stimme lud sie mich erst jetzt zum Sitzen ein. Zugleich fragte sie, wer eigentlich der Fremde gewesen, der Agnesen in der Frühe heimbegleitet habe?
    Ob der die Unglücksgeschichte nicht noch weiter verbreiten werde?
    Keineswegs, antwortete ich; denn das sei ein gutbestellter braver Mensch; und ich säumte nun nicht, mit anscheinend gleichgültigen Worten und mit der nötigen Vorsicht diejenige Beschreibung des Gottesmachers und seiner Verhältnisse anzubringen, die seinen Wünschen entsprechen mochte. Nur bei der Schilderung der Tante und ihrer Ausstattungssucht, welche es einer dereinstigen Frau des Neffen fast unmöglich mache, außer ihrer Person etwas im Hause unterzustellen, zu legen, aufzuschichten oder zu hängen, wurde mein Vortrag belebter, weil er mich selber belustigte. Übrigens, schloß ich, werde Herr Reinhold mit der Erlaubnis der Frauen heute abend seinen Besuch abstatten, um der Anstandspflicht zu genügen und sich nach dem Befinden des erkrankten Fräuleins zu erkundigen, und weil er wisse, daß ich die Ehre hätte, im Hause eingeführt zu sein, so habe er mich ersucht, die Erlaubnis auszuwirken und ihn alsdann vorzustellen. Diese höfliche Ankündigung gab der Frau einen Teil ihres Selbstvertrauens zurück.
    »Kind!« rief sie auffahrend, »hörst du? Wir bekommen Besuch; geh, zieh dich an, mache dein Haar auf, du siehst ja aus wie eine Hexe!«
    Aber Agnes regte sich nicht, und auch als die Mutter hinging und sie sanft rüttelte, wehrte sie ab und bat wimmernd, sie ruhig zu lassen, oder das Herz breche ihr entzwei. In ihrer Verzweiflung begann jene den Tisch zu decken und Tee zu bereiten; sie holte ein paar Schüsseln mit kalten Speisen und eine Torte herbei und setzte alles auf den Tisch. Schon für gestern abend, klagte sie, habe sie ein Dütchen des feinsten Tees gekauft und etwas zum Knuspern bereitgehalten, da sie auf die frühzeitigere Rückkunft der jungen Leutchen gehofft habe; jetzt möge die kleine Mahlzeit uns doch noch dem erwarteten Besuch zu Ehren nützlich werden; verdorben sei nichts.
    Wir saßen, und das Wasser kochte in dem blanken, wenig gebrauchten Teekesselchen seit geraumer Zeit, und noch meldete sich kein Besuch, weil es überhaupt noch zu früh war. Die gute Frau wurde ungeduldig; sie fing an zu zweifeln, ob Reinhold wirklich kommen werde; ich suchte sie zu beruhigen, und wir warteten wieder eine gute Weile. Endlich wurde sie Wartens satt und machte den Tee fertig; wir tranken eine Tasse, aßen etwas weniges und harrten wieder, plauderten mit zerstreuten Worten und Gedanken, bis die ermüdete Frau über meiner Einsilbigkeit einnickte. So trat jetzt eine tiefe Stille ein, und nach einiger Zeit merkte ich an den sanften regelmäßigen Atemzügen, die ich vom Ofenwinkel her vernahm, daß auch Agnes schlummerte. Da ich selbst keineswegs genug geschlafen hatte, fielen mir die Augen ebenfalls zu, und ich schlief zur Gesellschaft mit, während die kleine Lampe das Zimmer schwach erleuchtete.
    Wir mochten ein Stündchen einträchtig geschlummert haben, als wir durch eine volltönige, aber sanfte Musik geweckt wurden und gleichzeitig das Fenster von rotem Glanze erhellt sahen. Die überraschte Witwe und ich eilten zum Fenster. Auf dem kleinen Platze standen acht Musizierende vor einigen Musikpulten, vier Knaben hielten brennende Fackeln empor, und am Eingange des Platzes gingen zwei Polizeimänner auf und ab, welche die rasch sich sammelnden Zuhörer in Ordnung hielten. Zu den Geigern hatte Reinhold noch einige Bläser mit Horn, Hoboen und Flöte angeworben; er selbst saß auf einem Feldstühlchen und handhabte das Violoncell.
    »Jesus Maria! was ist das?« sagte die erstaunte Mutter Agnesens.
    »Zünden Sie Lichter an!« erwiderte ich; »das ist eben der Herr Reinhold mit seinen Freunden, der Ihrer

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