Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]
ließ ich das zustande gekommene Seufzerwesen unbehindert gen Himmel fahren, ohne daß ich mich seiner Gestalt genauer zu erinnern vermöchte.
Ein paar Minuten hielt ich die Augen geschlossen. Du wirst doch aufstehen müssen! sagte ich mir und nahm mich zusammen. Wie ich nun so vor mich hinblickte, sah ich aus einer Ecke des Zimmers einen kleinen Glanz herüberleuchten, wie von einem goldenen Fingerring, nahe dem Boden. Es blinkte ganz seltsam und lieblich, da sonst dergleichen Licht keines im Zimmer war. So stand ich auf, die Erscheinung zu untersuchen, und fand, daß der Glanz von der metallenen Klappe meiner Flöte herrührte, die seit Monaten ungebraucht in jener Ecke lehnte gleich einem vergessenen Wanderstabe. Ein einziger Sonnenstrahl traf das Stückchen Metall durch die schmale Ritze, welche zwischen den verschlossenen Fenstervorhängen offengelassen war; allein woher, da das Fenster nach Westen ging und um diese Zeit dort keine Sonne stand? Es zeigte sich, daß der Strahl von der goldenen Spitze eines Blitzableiters zurückgeworfen war, die auf einem ziemlich entfernten Hausdache in der Sonne funkelte, und so seinen Weg gerade durch die Vorhangspalte fand. Indessen hob ich die Flöte empor und beschaute sie. Die brauchst du auch nicht mehr! dachte ich, wenn du sie verkaufst, so kannst du wieder einmal essen! Diese Erleuchtung kam wie vom Himmel, gleich dem Sonnenstrahl. Ich kleidete mich an, trank ein großes Glas Wasser, an welchem ich keinen Mangel litt, und begann die Flöte auseinanderzunehmen und die Stücke vom Staube sorgfältig zu reinigen. Dann rieb ich sie mit einem Restchen Firnis und wollenen Läppchen tüchtig ab, salbte sie auch inwendig mit weißem Mohnöl, in Ermangelung von Mandelöl, das man sonst nimmt, damit das Instrument auch tönte, wenn es etwa geprüft wurde. Dann suchte ich das alte Flötenkästchen hervor und legte die Querpfeife so feierlich hinein, als ob ihr die wunderbarsten Kräfte inwohnten, und nun machte ich mich ohne längeres Säumen, und so rasch mich die matten Beine trugen, auf den Weg, einen Käufer für die alte Jugendfreundin zu suchen.
Es dauerte nicht lange, so stieß ich in einer Seitengasse auf den kleinen dunklen Laden eines Trödlers, hinter dessen Fenster ich neben etwas altem Porzellangeschirr eine Klarinette stehen sah; an dem andern Fenster hingen ein paar vergilbte Kupferstiche, in einem Rähmchen das verblichene Miniaturbildnis einer Militärperson in verschollener Uniform sowie eine Taschenuhr, auf deren Zifferblatt eine Schäferszene gemalt war. Hier ging ich hinein und fand inmitten seines Trödels ein seltsames ältliches Männchen, kurz und wohlbeleibt, in einen langen Hausrock gemummt und darüber noch eine weiße Frauenschürze vorgebunden. Auf dem rundlichen Kopfe trug er eine wunderliche Schirmmütze, die wie die Muschel des Papiernautilus gebaut war.
Diese Figur stand eben über einen kleinen Kochherd gebückt und rührte in einem Topfe, als ich eintrat. Das Trödelmännchen sah auf und fragte mich nicht unfreundlich, was ich wünsche, worauf ich mit leiser Stimme sagte, ich hätte eine Flöte zu verkaufen. Neugierig öffnete er das Kästchen, gab es aber sogleich zurück und sagte: »Richten Sie einmal das Ding zusammen, so weiß ich ja nicht, was es ist!« Als ich die drei Bestandteile gehörig zusammengesetzt hatte, nahm er das Instrument in die Hand und betrachtete es von allen Seiten, sah auch darüber weg, ob es nicht etwa krumm oder verzogen sei.
»Warum wollen Sie's denn verkaufen?« fragte er, und ich meinte, weil ich's nicht mehr haben wolle. »Aber tönt sie auch, die Flöt'? Dort hab ich schon lang ein Klarinett stehen, das keinen Laut von sich gibt, da bin ich mit angeschmiert worden. Blasen Sie mal!«
Ich blies eine Tonleiter, er wollte aber ein ganzes Stücklein hören; ich fing also, obschon mir nicht musizierlich zu Mut war, mit schwachem Atem die Arie aus der Freischützoper an:
Und ob die Wolke sie verhülle,
Die Sonne bleibt am Himmelszelt.
Es waltet dort ein heil'ger Wille, Nicht blindem Zufall dient die Welt.
Es war das erste Musikstück, das ich vor Jahren einst gelernt hatte und das mir daher jetzt am ehesten einfiel. Nicht nur aus Schwäche, sondern auch in einem wehmütigen Gefühle meiner Lage und der Erinnerung an jene sorglosen Zeiten fiel der Vortrag ein wenig tremulierend oder zitterhaft aus, und ich gelangte nur bis zum zehnten oder zwölften Takte. Allein das Männchen verlangte die Fortsetzung, und
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