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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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meine Leibes-und Verstandeskräfte zurück, und als ich den Bericht las, wie in einer Stadtkirche das Volk zusammenlaufe, weil ein Marienbild dort die Augen bewegen solle, kam ich betroffen auf mein stilles Privatwunder zu denken und sagte mir nach einigem Besinnen, in ganz verändertem Seelentenor, als ich vor dem Essen gehabt: Bist du denn besser als diese Bildanbeter? Da kann man wohl sagen, wenn der Teufel hungrig ist, so frißt er Fliegen, und der Heinrich Lee schnappt nach einem Wunder!
    Und doch zögerte ich, mich der wohltuenden Empfindung einer unmittelbaren Vorsorge und Erhörung, eines persönlichen Zusammenhanges mit der Weltsicherheit zu entledigen.
    Schließlich, um dieses Vorteils nicht verlustig zu gehen und doch das Vernunftgesetz zu retten, erklärte ich mir den Vorgang so, daß die anererbte Gewohnheit des Gebetes an die Stelle einer energischen Zusammenfassung der Gedankenkräfte getreten sei, durch die damit verbundene Herzenserleichterung jene Kräfte frei und sie fähig gemacht habe, das einfache Rettungsmittel, das bereitlag, zu erkennen oder ein solches zu suchen; daß aber eben dieser Prozeß göttlicher Natur sei und Gott in diesem Sinne ein für allemal die Appellation des Gebetes den Menschen delegiert habe, ohne im einzelnen Fall einzugreifen, auch ohne sich für den jedesmaligen unbedingten Erfolg zu verbürgen. Vielmehr habe er die Anordnung getroffen, daß, um den Mißbrauch seines Namens zu verhüten, Selbstvertrauen und Tatkraft, solange sie irgend ausreichen, Gebeteswert haben und vom Erfolge gesegnet sein sollen.
    Noch heute lache ich weder über die Geringfügigkeit jener Not noch über den vorübergehenden Wunderglauben, noch über die pedantische Abrechnung, die demselben folgte. Ich würde die Erfahrung, einmal im Leben den starken Hunger gespürt zu haben, das Wunder des lieblichen Sonnenblickes nach dem Gebete und die kritische Auflösung desselben nach erfolgter Leibesstärkung nicht hergeben; denn Leiden, Irrtum und Widerstandskraft erhalten das Leben lebendig, wie mich dünkt.
    Fünftes Kapitel
    Die Geheimnisse der Arbeit
    Das Geldchen, das ich für die Flöte erhalten, reichte auch für einen zweiten Tag aus, da ich es klüglich eingeteilt hatte. Ich erwachte also diesmal ohne die Sorge, heute hungern zu müssen, und das war wiederum ein kleines, zum ersten Mal erlebtes Vergnügen, da diese Sorge mir früher unbekannt gewesen und ich erst jetzt den Unterschied empfand. Dies neue Gefühl, mich gegen den Untergang mangels Nahrung gesichert zu wissen, gefiel mir so gut, daß ich mich schnell nach weiteren Habseligkeiten umsah, die ich der Flöte nachsenden könne; ich entdeckte aber durchaus nichts Entbehrliches mehr als den bescheidenen Bücherschatz, der sich über meinen wissenschaftlichen Grenzüberschreitungen aufgestapelt und verwunderlicherweise noch vollständig beisammen war. Ich öffnete einige Bände und las stehend Seite auf Seite, bis es eilf Uhr schlug und Mittag heranrückte. Da tat ich mit einem Seufzer das letzte Buch zu und sagte: »Fort damit! Es ist jetzt nicht die Zeit solchen Überflusses, später wollen wir wieder Bücher sammeln!«
    Ich holte rasch einen Mann, der den ganzen Pack mit einem Stricke zusammenband, auf den Rücken schwang und mir auf dem Wege zu einem Antiquarius damit folgte. In einer halben Stunde war ich aller Gelehrsamkeit entledigt und trug dafür die Mittel in der Tasche, das Leben während einiger Wochen zu fristen.
    Das dünkte mich schon eine unendliche Zeit; allein auch sie ging vorüber, ohne daß meine Lage sich änderte. Ich mußte also auf eine neue Frist denken, um die Wendung zum Bessern und den Glückesanfang abzuwarten. Die einen Menschen verhalten sich unablässig höchst zweckmäßig, rührig und ausdauernd, ohne einen festen Grund unter den Füßen und ein deutliches Ziel vor Augen zu haben, während es andern unmöglich ist, ohne Grund und Ziel sich zweckmäßig und absichtlich zu verhalten, weil sie eben aus Zweckmäßigkeit nicht aus nichts etwas machen können und wollen. Diese halten es dann für die größte Zweckmäßigkeit, sich nicht am Nichtssagenden aufzureiben, sondern Wind und Wellen über sich ergehen zu lassen, jeden Augenblick bereit, das leitende Tau zu ergreifen, wenn sie nur erst sehen, daß es irgendwo befestigt ist. Sind sie dann am Lande, so wissen sie, daß sie wieder Meister sind, indessen jene immer auf ihren kleinen Balken und Brettchen herumschwimmen und aus lauter Ungeduld vom Ufer

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