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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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wollte, so mußte ich gestehen, ich sei allein um Dorotheas willen noch dageblieben, nur besaß ich nicht den Mut, es merken zu lassen oder etwas zu hoffen. Ich war also womöglich noch närrischer als der Peter Gilgus.
    Ich geriet durch all diese widersprechenden Empfindungen und Gedanken in eine Art von Erstarrung, in welcher ich mich auf meine Arbeit und das stille Studium der philosophischen Bücher zurückzog, ohne an den Disputationen weiter teilzunehmen. Die Verliebtheit dauerte dabei fort, aber wie das Blühen der Pflanzen, das in eingetretener Frühlingskühle eine Weile unentschieden bei halbgeöffneten Kelchen anhält. Und gleichmäßig verharrte ich in der Verachtung einer Nebenbuhlerschaft, als welche ich das Verhalten des Gilgus hinsichtlich der neuen Weltanschauung sowohl als dem Weibe gegenüber betrachtete, was freilich weder zeitgemäß noch sehr menschlich war.
    Eines Vormittags kam er aufgeregt und geputzt zu mir gestürzt, als ich ziemlich gesammelt und dennoch herb wie eine alte Jungfer an meiner Arbeit saß. Er trug auf dem Leibe einen braunen Frack mit vergoldeten Knöpfen, auf dem Kopf eine hellfarbige Reisemütze, obgleich es Winter war. Die Angelegenheit mit Dorothea, rief er, müsse sich entscheiden; eine Verbindung eines Mannes wie er mit einer Person wie Dorothea wäre zu typisch, als daß sie unterbleiben dürfte; sie sei geradezu eine philosophiegeschichtliche Pflicht, denn die Erlösung der Welt von der Gottesidee müsse sich erst recht vollziehen durch die Vermählung freier Geschlechtsrepräsentanten, und so weiter. Ich war von der schlechten Gesellschaft in meiner Neigung so beschämt und vergrämt, daß ich über die Narrheit nicht einmal zu lachen imstande war. Überhaupt belustigte mich die Sache keineswegs, indem sie selbst einen leichten Schatten auf das unbefangene Dortchen zu werfen schien.
    Ich fragte ihn daher unwirsch, ob er in seinem Fracke schon auf dem Weg sei, den Heiratsantrag zu machen?
    »Nein«, sagte er, »heute noch nicht! Ich will mich erst einige Tage nur etwas sorgfältiger tragen, wie es sich auf Freiersfüßen geziemt. Steht mir dieser Frack nicht gut? Ich habe ihn von einem atheistischen Bankier geschenkt bekommen, einem großen Gönner unsers Bundes, der freilich des Sonntags noch in die Kirche geht; denn er hat Rücksichten zu nehmen. Oh, wenn mein armes Mütterchen das Glück noch erlebt hätte, das ich haben werde!«
    »Ihr Mütterchen? Ist es tot?«
    »Schon seit zwei Jahren! Sie hat die Befreiung des Menschengeschlechtes nicht mehr gesehen! Die trockenen Blumen, die ich im Auge Gottes aufbewahre, hat sie mir noch an meinem letzten Geburtstage geschenkt, den sie erlebte! Sie hat dieselben um einen Kreuzer auf dem Markte eingehandelt!«
    Ein neuer Stich ging mir ins Herz; auch auf eine liebende Mutter behauptete der Narr Anspruch zu machen, und am Ende war er noch ein besserer Sohn als ich, der ich dasaß und die meinige so gut als vergaß, obschon ich wußte, daß sie meiner harrte. So ist unser Leben aus Wirrsal gewebt, daß wir dem Nächsten kaum einen Tadel zuwenden, den wir nicht, noch eh er ihn vernommen, auf uns selbst beziehen können.
    Einige Minuten nachdem Gilgus fortgestürmt war, trat Dorothea mit einem Körbchen voll schöner Trauben und Birnen herein.
    »Sie sind jetzt so fleißig und zurückgezogen«, sagte sie, »daß man Ihnen die kleinen Erquicklichkeiten nachtragen muß. Essen Sie von diesen Früchten, sonst werden Sie mir zu trocken! Dafür sollen Sie uns einen guten Rat geben!
    Malen Sie jedoch weiter, ich sehe Ihnen gerne zu!«
    Sie nahm einen Stuhl und setzte sich zu mir.
    »Papa schreibt Briefe«, fuhr sie fort, »mit denen er Herrn Gilgus fortschicken will; denn er mag ihn nicht mehr dahaben. Gilgus hat heute früh die Ackerleute, die auf dem Felde pflügen, angepredigt wie Jonas die Leute zu Ninive, sie sollten Buße tun und von ihrem heidnischen Gottesglauben ablassen. Das kann so nicht weitergehen. Papa will ihn heute noch wegschicken, in ziemliche Entfernung, und mit wohlmeinenden Uriasbriefen dahin wirken, daß er weiterhin versorgt und an eine vernünftige Beschäftigung gebunden wird.«
    »Und was kann ich denn dazu raten?« frug ich.
    »Nicht sowohl raten als helfen! Sie sollen ihm, sofern er sich sträubt, zureden und die Reise als etwas Notwendiges und Vergnügliches darstellen.
    Dann stehen ein paar Koffer bereit, welche den Inhalt seines schrecklichen Sackes wohl aufnehmen werden. Da Sie ihm in seinem letzten

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